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Nachhaltiges Essen schmeckt den Gästen und der Umwelt. (Symbolbild)

Die Schweizerinnen und Schweizer meinen es gut mit ihrer Umwelt. Aber gut gemeint ist noch nicht gut gemacht. Unhinterfragte Gewohnheitsmuster, komplizierte Entscheidungswege, falsche Anreize, fehlende Umsetzungskompetenz oder soziale Mechanismen machen unseren guten Intentionen häufig einen Strich durch die Rechnung. Wir Menschen sind eben keine Maschinen, die man mit Informationen und Moral füttert und dann kommt «das richtige Verhalten» heraus. Und trotzdem: Verhaltensökonomisch ausgerichtete Projekte können wirtschaftlich rentabel sein, die Umwelt schützen und erst noch als angenehm empfunden werden.

Gabi Hildesheimer, ehemalige Geschäftsleiterin Öbu (Verband nachhaltiges Wirtschaften), und Moritz Jäger vereinen in ihrer Firma Tsuku GmbH die Themen Nachhaltigkeit und Verhaltensökonomie. Im Interview zeigen sie auf, dass die ökologischen Herausforderungen nicht nur bessere Technologie, sondern auch anderes Verhalten erfordern.

Gabi, wie umweltbewusst ist die Schweiz?

Umfragen zeigen: Schweizerinnen und Schweizer haben eigentlich ein grosses Umweltbewusstsein. Trotzdem sind wir alles andere als vorbildlich, denn es gibt eine bedeutende Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Verhalten: unser ökologischer Fussabdruck gehört weiterhin zu den grössten weltweit, ganze drei Erdkugeln bräuchte es, würden alle Menschen wie wir leben wollen.

Die durch Effizienzsteigerungen oder sauberere Technologien erzielten Erfolge werden oft durch erhöhten Konsum und eine wachsende Bevölkerung wieder wettgemacht, oder die «dreckigen» Produktionsschritte werden einfach ins Ausland verlegt. In der Politik mangelt es an Einsicht und Mut, grosse Schritte zu machen. Als Individuen machen uns Verhaltensanpassungen Mühe. Der eine mag halt zu gerne sein tägliches Fleischmenu, die andere hat gute Gründe, regelmässig mit dem Flugzeug zu verreisen. Was im konkreten Fall nachvollziehbar sein kann, führt in der Summe zum viel zu grossen Fussabdruck, trotz reichlicher Information und der «richtigen» Moral.

Moritz, weshalb verhalten sich Menschen inkonsequent?

Die Vorstellung, dass Menschen vollkommen rational oder im Einklang mit ihrer Einstellung handeln, stimmt in der Praxis meist nicht. Eine Grosszahl unserer täglichen Entscheidungen treffen wir unbewusst oder anhand von Faustregeln. Wir passen zudem unser Verhalten dem sozialen Umfeld an, und wenn unser Fairnessempfinden verletzt wird, werden wir unkooperativ. Klassische Ansätze wie Moralappelle oder reine Informationsvermittlung sind deshalb meist nur wenig erfolgversprechend, werden von den Menschen als bevormundend wahrgenommen oder dauern schlichtweg zu lange. Sie stehen daher in unserem verhaltensökonomischen Ansatz nicht im Zentrum.

Wir versuchen bei wirksameren Hebeln anzusetzen: den unhinterfragten Gewohnheitsmustern, zu komplizierten Entscheidungswegen, falschen Anreizen, fehlender Umsetzungskompetenz oder bei sozialen Mechanismen. Die grossen Umweltthemen (Essen, Mobilität, Wohnen) sind typischerweise in komplexen sozialen Systemen mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen angesiedelt. Eine effiziente Lösung basiert auf der langfristigen Kooperation dieser Anspruchsgruppen, die – zumindest auf den ersten Blick – ganz unterschiedliche Bedürfnisse, Nutzen und Kosten haben.

Habt ihr ein konkretes Beispiel?

Ein schönes Beispiel ist das Projekt in sechs Personalrestaurants. Alle sechs Betriebe wurden motiviert und unterstützt, weniger CO2 zu verursachen: Die Menüs sollten umweltfreundlicher gestaltet werden und die Gäste sollten diese CO2-armen Menüs wählen. Die Herausforderung: Die Restaurants waren in vieler Hinsicht sehr unterschiedlich, es gab nicht die eine Strategie, die bei allen umsetzbar war. Die Massnahmen-Palette beinhaltete Interventionen auf verschiedenen Ebenen: Vermittlung von Entscheidungs- und Umsetzungskompetenz (Boosting), Feedbackmechanismen im sozialen Vergleich, Anreize und Nudging.

Ein Grundbaustein des Projekterfolgs war gerade die Kombination verschiedener motivationaler Mechanismen: ein Betrieb setzte im Schnitt ganze 16 Massnahmen um. Der Prozess beruhte durchgehend auf Freiwilligkeit und Partizipation. Gemeinsam konnte ein beachtliches Ergebnis erzielt werden: Im Durchschnitt wurden 20 Prozent CO2 eingespart, die Sieger schafften sagenhafte 42 Prozent.

Reichen solche Ergebnisse, um das Ziel zu erreichen, zu dem sich die Schweiz in Paris ebenfalls verpflichtet hat: die Beschränkung des Temperaturanstiegs auf weniger als 2 Grad Celsius?

Die kurze Antwort: leider nein. Die westliche Welt verbraucht ein Vielfaches der Ressourcen, die uns eigentlich zustünden. Aber Projekte wie das beschriebene können einen positiven Impuls auslösen: Es wurden sehr grosse Einsparungen erreicht, es hat allen Spass gemacht, war wirtschaftlich und die Kundenzufriedenheit ist sogar gewachsen. Solche Erfolgserlebnisse schaffen die Grundlage, dass sich die Kooperationsbereitschaft auch auf politischer Ebene erhöht.

Kann der einfache Bürger so die grosse Politik verändern?

Für Grosskonzerne und in der internationalen Politik gelten andere Regeln. Man darf aber nicht unterschätzen, welchen Einfluss das Volk auch auf grosse politische Entscheide hat. Voraussetzung ist, dass Nachhaltigkeit den Menschen hier und jetzt etwas bringt und nicht etwas ist, dass man für die ferne Zukunft und ferne Weltgegenden tut. Nur dann wird auch ein Grossteil der Menschen bereit sein, ihr Verhalten zu ändern. Tsuku spürt deshalb neue Geschichten auf, die davon erzählen, dass Nachhaltigkeit ganz konkret zu einer höheren Lebensqualität führt. Nachhaltige Menüs können beispielsweise ein grosser Genuss sein, günstig auch, man kennt die Lieferanten und was schmeckt besser als die ersten Erdbeeren, auf die man sich schon so lange gefreut hat.

Es sind Geschichten, die den Menschen die Kompetenz und das Selbstbewusstsein geben, etwas verändern zu können. Aktuell herrscht das Narrativ, dass Nachhaltigkeit teuer ist, Verzicht bedeutet, gar nichts bewirkt oder der Kampf eh schon verloren ist. Die neuen Geschichten sollen zeigen: das stimmt überhaupt nicht.

Zum Abschluss: Was sollen Unternehmen tun, die im Bürobetrieb nachhaltiges Verhalten fördern möchten?

  • Nachhaltige Defaults: Oft sind die nicht-nachhaltigen Aktivitäten der Standard. Um nachhaltig zu sein, muss man sich so aktiv entscheiden, was die meisten Menschen im alltäglichen Stress eben gerade nicht tun. Beim Design der Büroräumlichkeiten und der Prozesse sollte Wert daraufgelegt werden, dass die nachhaltige Option Standard ist. Ein Beispiel: Wenn man nichts explizit wählt, liefert der Drucker doppelseitig schwarz-weisse Dokumente auf Recycling-Papier.

  • Messbarkeit und Feedback: Menschen optimieren gerne, aber nur das, was sie auch sehen. Beim Umweltverhalten werden die Konsequenzen eben häufig nicht sichtbar. Unternehmen sollten wichtige Parameter messen und auf sympathische, spielerische Weise kommunizieren. Je unmittelbarer, gezielter und konkreter das Feedback, desto grösser die Wirkung. Ein aktuelles gezieltes Feedback an der Lifttür, beim Firmeneingang oder im Intranet wirkt unmittelbar, sogar noch stärker, wenn dazu konkrete Handlungstipps mitgegeben werden.

  • Soziale Mechanismen: Soziale Normen sind sehr starke Hebel, um Verhaltensänderungen zu motivieren, und sie können vielfältig eingesetzt werden. Ein Beispiel: Das Team erarbeitet gemeinsam eine Zielsetzung, schreibt sie auf ein Poster, das alle unterschreiben und das gut sichtbar aufgehängt wird («commitment device»). Die conditio sine qua non: Der Chef, die Chefin muss mit Überzeugung vorausgehen. Sagt man das eine, belohnt aber das andere, bricht die Kooperation sofort zusammen.

 

Weiterführende Informationen und Quellen:

Auftragsstudie der Energieforschung Stadt Zürich an Eaternity & FehrAdvice:
Ellens J., Hildesheimer G., O’Connor I, Scherrer J., Schmid W. 2018. Personalrestaurant-Wettbewerb. Energieforschung Stadt Zürich. Bericht Nr. 48, Forschungsprojekt FP-1.15.

Informationen zum Übereinkommen von Paris (Bundesamt für Umwelt)

Statistiken zum ökologischen Fussabdruck der Schweiz (Bundesamt für Statistik) 

Tsuku GmbH

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