Füsse stehen zwischen Strich positiv und negativ Füsse stehen zwischen Strich positiv und negativ
Organisationen, die sich auf Ressourcen und Lösungen fokussieren, statt auf Defizite und Probleme, erkennen ihren Möglichkeitsraum und erweitern diesen stetig.

Es heisst, wenn sich in der Wüste zwei Autos entgegenkommen, sollten sie sich auf keinen Fall gegenseitig in den Blick nehmen – oder sie kollidieren. Anders ausgedrückt: Wir ziehen an, worauf wir uns fokussieren. Das gilt auch für positive Ergebnisse in der Team- und Organisationsentwicklung.

Die Performance eines Teams oder einer Organisation hängt bekanntermassen von Faktoren wie individuellen Kompetenzen und übergreifender Rollenklarheit ab. Aber nicht nur. Weitere wesentliche Punkte, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden, sind der Fokus und die Kommunikation. Konzentriert sich ein Team dabei hauptsächlich auf das Positive, wird es sich automatisch in diese Richtung weiterentwickeln. Diese Tatsache ist bereits aus der Beziehungsforschung bekannt, nämlich dank dem Ehe-Forscher John Gottman. Seinen Erkenntnissen zufolge muss für eine glückliche Beziehung fünf Mal mehr positive als negative Kommunikation stattfinden.

Das optimale Verhältnis von Kommunikationsbotschaften

Das Verhältnis 5:1 findet sich auch in einer Studie des Psychologen Marcial Losada und der Managementforscherin Emily Heaphy aus dem Jahr 2004. Die beiden Forschenden analysierten für ihre Studie die Leistung von 60 Teams aus der Wirtschaft und bewerteten diese anhand von Faktoren wie Ertrag, Kundenzufriedenheit und Antworten aus der 360-Grad-Feedback-Befragung. Das Ergebnis zeigte, dass das performancestärkste Drittel der teilnehmenden Teams ein Verhältnis zwischen positiven und negativen Aussagen von 5,6:1 aufwies, das performanceschwächste Drittel jedoch nur eine von 0,36:1. Ob sich anhand der Studie tatsächlich eine Kausalität beweisen lässt oder lediglich eine Korrelation aufgezeigt wird, schwächt die Kernaussage nicht. Denn feststeht: Positive Kommunikation und positive Performance stehen eindeutig in einem engen und wechselseitigen Zusammenhang.

Der Ansatz der Appreciative Inquiry

Auf diesem Zusammenhang basiert auch der Ansatz der so genannten Appreciative Inquiry oder der wertschätzenden Erkundung. Entwickelt wurde er in den 1980er-Jahren massgeblich vom Managementforscher David Cooperrider und von der Pädagogin Diana Whitney. Der Ansatz hebt sich von anderen Organisationsentwicklungsansätzen ab, indem er nicht wie üblich Stärken und Schwächen in den Blick nimmt, sondern ausschliesslich auf das Positive fokussiert. Der Ansatz basiert auf acht grundlegenden Prinzipien:

  1. Konstruktivität: Realität ist mehr subjektiv als objektiv: Positive Worte schaffen eine positive Wirklichkeit.
  2. Gleichzeitigkeit: Neue Fragen bringen neue Gedanken und Ideen: Positiv gestellte Fragen bringen positives Veränderungspotenzial.
  3. Narrativ: Die Organisation wählt aus einer Fülle an möglichen Geschichten diejenige aus, die sie über sich erzählen möchte.
  4. Antizipation: Je positiver die Zukunftsvision einer Organisation ist, desto gelingender gestaltet sie ihre Gegenwart.
  5. Positivität: Positive Fragen führen zu positiven Veränderungen und erweitern den Wirkungsspielraum.
  6. Ganzheitlichkeit: Vielfalt und Zusammenarbeit bergen mehr Potenzial als einzelne Anstrengungen.
  7. Tat: Eine Organisation, die Veränderung will, muss diese mit Taten schaffen.
  8. Freiwilligkeit: Freie Entscheidungen stärken die Eigenverantwortung und das Commitment.

Selbsterfüllende Prophezeiungen nutzen

Die acht Prinzipien basieren im Wesentlichen auf dem Wissen, dass unsere Energie unseren Gedanken folgt. Anders ausgedrückt: Aus der Psychologie ist bekannt, dass sich Menschen, Teams und Organisationen immer in Richtung dessen entwickeln, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten. Organisationen, die sich auf Ressourcen und Lösungen fokussieren, statt auf Defizite und Probleme, sind daher klar im Vorteil. Sie erkennen ihren Möglichkeitsraum und erweitern diesen stetig.

Wenn sich eine Organisation hingegen primär um ihre Probleme kümmert, nehmen diese nicht nur zu viel Raum ein, es entstehen dadurch auch neue Probleme. Legt sie hingegen ihr Augenmerk auf das, was funktioniert, schreibt sie automatisch ein Narrativ des Gelingens, das motiviert, auf Erfolgen aufbaut und dadurch weitere Erfolge nach sich ziehen wird. So können Probleme gelöst werden, ohne dass sie direkt angesprochen und ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Die Probleme werden dabei nicht ignoriert, sondern indirekt aus einem ressourcenorientierten Blickwinkel betrachtet.

Interviewleitfaden nach Appreciative Inquiry

Der Blick auf das Positive hebt nicht nur die Stimmung, sondern fördert auch den Zusammenhalt im Team. Eine Methode, die sich dafür bewährt hat, ist das wertschätzende Interview, das in Gruppen und anhand eines Leitfadens durchgeführt wird. Dabei bekommen nur positive Aspekte Raum und setzen so neue Potenziale frei. Der Leitfaden gliedert sich in die vier Phasen Discovery, Dream, Design und Destiny – also vom Entdecken des Vorhandenen bis zum Schaffen der neuen Realität in der Organisation.

  • Discovery: In dieser Phase geht es darum herauszufinden, was bereits Gutes im Team oder in der Organisation vorhanden ist.
  • Dream: In dieser Phase wird gemeinsam ergründet, wie sich die Organisation weiterentwickeln könnte.
  • Design: Diese Phase dient dem Abstecken dessen, wie sich die Organisation in Zukunft entwickeln soll.
  • Destiny: In dieser Phase befassen sich die Mitarbeitenden mit Fragen dazu, wie sie die gewünschte Zukunft umsetzen können.

Mit Hilfe eines vorbereiteten Interviewleitfadens startet die Entdeckung der Momente, die für die Beteiligten besonders waren, sowie der Schlüsselfaktoren, die der Organisation dem Team Vitalität und Stärke geben. Die Fragen im Interviewleitfaden lassen sich nach Belieben gestalten, ergänzen sowie auf spezifische Situationen und anstehende Veränderungsprozesse in einem Team oder einer Organisation anwenden.

Aus Erfolgen lernen

Fragen positiv zu formulieren und sich auf Gelungenes zu beziehen, hilft, Menschen, Teams und Organisationen aufzubauen. Denn dadurch stehen die Möglichkeiten im Mittelpunkt: Was haben wir schon erreicht und wie können wir Gelerntes auf die aktuelle Situation anwenden? Und nicht, was sind die Hindernisse? Dadurch werden Möglichkeitsräume geschaffen, statt Probleme gewälzt. Die Vision, Mission und Werte der Organisation werden im gesamten Team geschärft und für die Zukunft gestärkt. Durch das miteinander Teilen der besten Erlebnisse entstehen eine solide Basis gemeinsamer Werte, ein gemeinsames Verständnis, eine lebendige, wertschätzende Kommunikation sowie eine positive Energie für anstehende Veränderungsprozesse: optimale Voraussetzungen, um die Zukunft gelingend zu gestalten.

Quellen und weiterführende Informationen

Cooperrider, D & Whitney, D. (2014). What is Appreciative Inquiry?

Cooperrider, D & Whitney, D. (2011). Appreciative Inquiry. A Positive Revolution in Change. Readhowyouwant.>

Diana, W. (2014). Appreciative Inquiry Thought Leader.

Losada, M., & Heaphy, E. (2004). The role of positivity and connectivity in the performance of business teams: A nonlinear dynamics model. American Behavioral Scientist, 47(6), 740–765

Autor/in
Katrin-Juntke

Katrin Juntke

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