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Wie werden KI-gestützte Entscheidungen im Personalverfahren von Bewerbenden wahrgenommen?

Die Arbeits- und Lebensbereiche, in denen Menschen von künstlicher Intelligenz unterstützt oder gar ersetzt werden, nehmen zu. Es wird zunehmend leichter, sich auch als Normalsterblicher bei den täglichen Aufgaben digitale Unterstützung zu holen, sei es beim Verfassen von Texten, Hilfe beim Einparken oder Support beim Erreichen der täglichen Fitness-Ziele. Auch bei entscheidenden Prozessen in der Arbeitswelt werden vermehrt künstliche Intelligenzen eingesetzt. Darunter zählt auch das Personalverfahren, bei der die KI die Entscheidungen und die Auswahl der Bewerbenden ressourceneffizienter machen und Diskriminierungen verhindern soll. Aber wie werden diese KI-gestützten Entscheidungen von den Bewerbenden wahrgenommen?

Die Roboter kommen – und sie stellen ein

Die Möglichkeiten der Nutzung der künstlichen Intelligenz im Personalauswahlverfahren sind vielseitig, stehen aber zu grossen Teilen noch in den Startlöchern. Bei vielen Unternehmungen stellen sich jedoch bei der Frage der Nutzung sowohl technische als auch ethische Bedenken ein. Es gibt allerdings schon einige bekannte Arbeitgeber, bei denen die KI im Personalauswahlverfahren eine entscheidende Rolle spielt – darunter auch der Möbelriese IKEA, der die Software «Vera» dazu verwendet, die erste Phase des Rekrutierungsprozesses zu absolvieren. Das funktioniert dann so: Die Software sucht auf Jobportalen nach geeigneten Bewerbenden und führt auch erste Telefoninterviews mit ihnen. Für die Arbeitgebenden bedeutet der Einsatz der künstlichen Intelligenz vor allem eins: Zeitersparnis. Im Jahre 2018 hat «Vera» laut Manager Magazin täglich für etwa zweihundert Kunden – darunter IKEA, Pepsi oder L’Oréal – etwa 50'000 Interviews geführt. Tatsächlich wird die KI schon in verschiedenen Stufen des Bewerbungsprozesses, von Lebenslauf-Scanning über Erstgespräche, unterschiedlich eingesetzt, wie in einem Essay der Universität Basel aufgezeigt wird (Adelmann & Wiedmer, 2020).

Von der Arbeitshilfe zum Entscheidungsträger

Dadurch, dass künstliche Intelligenzen mittlerweile auch dazu in der Lage sind, Entscheidungen basierend auf zuvor definierten Kriterien zu treffen, wird sich die Dynamik zwischen Menschen und Maschine möglicherweise verändern. Die Maschine wird nicht nur als reines «Ausführungstool» wahrgenommen, sondern als eine Art Partnerin in der Zusammenarbeit. Wesche & Sonderegger (2019) schlagen sogar einen Paradigmenwechsel («Computer as leaders») vor und mahnen zu einem wissenschaftlichen Diskurs zum Thema künstliche Intelligenz in Führungs- und Entscheidungspositionen. Zudem spielt die Akzeptanz der von den Entscheidungen betroffenen Personen ebenso eine wichtige Rolle. In diesem Fall konkret die Arbeitnehmenden, die von einer künstlichen Intelligenz eingestellt wurden, oder vielleicht eben nicht eingestellt wurden. Nebst der Frage, ob denn die künstliche Intelligenz auch tatsächlich die besseren Entscheidungen als der Mensch treffen würde – wie bei Fleck, Rounding & Özgül (2023) genauer nachzulesen ist – bleibt also auch zu berücksichtigen, wie die Entscheidungen mit Fokus auf die Fairness wahrgenommen werden. Verschiedene Studien suggerieren nämlich, dass die Bewerbenden ihre Vorstellungsgespräche lieber mit Menschen aus Fleisch und Blut durchführen. Sie nehmen so die getroffenen Entscheidungen danach als fairer war. Je nach Personalauswahlverfahren einer Firma kann die Attraktivität des Arbeitgebers unterschiedlich wahrgenommen werden und somit die Bereitschaft der Bewerbenden, eine Stelle anzunehmen, unterschiedlich ausfallen (McCarthy et al., 2017).

Vorstellungsgespräch mit einer künstlichen Intelligenz

Unter anderem wurde in einer Studie von Lee (2018) herausgefunden, dass die Teilnehmenden der Meinung waren, dass es der KI an den nötigen menschlichen Fähigkeiten fehlt, um Anstellungsentscheidungen zu treffen. Da die KI nur quantifizierbare Daten verwendet, sei sie nicht in der Lage, qualitative Aspekte miteinzuberechnen. Das würde den Prozess entmenschlichen und den Sinn des Ganzen verfehlen. In einer weiteren Forschungsarbeit (Langer, König, Sanchez, & Samadi, 2019) wurde herausgefunden, dass die Entscheidungen der KI zwar als konsistenter wahrgenommen werden, allerdings werden die automatisierten Interviews als weniger attraktiv für die Bewerbenden erlebt, da die menschliche Interaktion fehlt. Dieser Faktor wird in einer weiteren Studie ebenfalls aufgegriffen. Dort wird angenommen, dass die zweiseitige Kommunikation in einem Bewerbungsgespräch für die Bewerbenden als sehr attraktiv wahrgenommen wird, was in einem KI-gestützten Bewerbungsgespräch nicht der Fall ist. Dass die Unternehmen sich nicht die Zeit für ein persönliches Gespräch nehmen, kann hingegen als eher negativ aufgefasst werden (Acikgoz, Davison, Compagnone, & Laske, 2020).

Fazit

Nebst den technologischen Möglichkeiten ist es wichtig zu beachten, wie die Bereitschaft und die Einstellungen der Kandidatinnen und Kandidaten einzuschätzen sind. Dazu gibt es unterschiedliche Studien und Annahmen zur Wahrnehmung der Fairness der von der KI getroffenen Entscheidungen. Allerdings gibt es noch sehr viel Potenzial für weitere Forschung und detaillierte Untersuchungen in unterschiedlichen Bereichen – wie beispielsweise der Suche nach Unterschieden zwischen Branchen, Positionen oder Ablauf des Auswahlverfahrens. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sind die potenziellen Arbeitnehmenden beziehungsweise ihre Einstellungen gegenüber dem Einstellungsverfahren nicht zu vernachlässigen.

Quellen und weiterführende Informationen:

Adelmann, L. & Wiedmer, J. (2020). Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Rekrutierung. Essay zur digitalen Transformation. Basel: Universität Basel

Acikgoz, Y., Davison, K. H., Compagnone, M., & Laske, M. (2020). Justice perceptions of artificial intelligence in selection. International Journal of Selection and Assessment, 28(4), 399–416. https://doi.org/10.1111/ijsa.12306

Fleck, L., Rounding, N., & Özgül, P. (2022). Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl. ROA. ROA External Reports No. ai:conomics Kurzdossier Mai 2022.

Langer, M., König, C. J., Sanchez, D. R. P., & Samadi, S. (2019). Highly automated interviews: Applicant reactions and the organizational context. Journal of Managerial Psychology, 35(4), 301–314. https://doi.org/10.1108/JMP-09-2018-0402

Lee, M. K. (2018). Understanding perception of algorithmic decisions: Fairness, trust, and emotion in response to algorithmic management. Big Data & Society, 5(1). https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/2053951718756684

Wesche, J. S., & Sonderegger, A. (2019). When computers take the lead: The automation of leadership. Computers in Human Behavior, 101, 197–209. https://doi.org/10.1016/j.chb.2019.07.027

Autor/in
Lea Schlenker

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