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Arbeit kann uns psychisch belasten. Wie können wir sicher, gesund und produktiv arbeiten? (Symbolbild)
Stress und Überlastung sind für Schweizerinnen und Schweizer die häufigste Ursache für psychisches Leiden (Bühler et al., 2018). Die Schweizerische Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie (sgaop) hat sich entsprechend für 2018 das Schwerpunktthema psychische Gesundheit gesetzt. Regula von Büren spricht mit Christina Brändli, der Co-Präsidentin der sgaop, über psychische Gesundheit in der Arbeitswelt und die Erkenntnisse aus dem Schwerpunktjahr.

Die sgaop vereint Arbeits- und Organisationspsychologen. Wieso wählte die sgaop für 2018 das Schwerpunktthema Psychische Gesundheit?

Psychische Gesundheit ist eine Grundvoraussetzung, damit Menschen langfristig gut, gesund und gerne arbeiten können. Psychische Belastungen wie Zeitdruck, Unter- oder Überforderung, Unterbrechungen, zwischenmenschliche Konflikte, Mobbing und Jobunsicherheit haben während den letzten Jahren zugenommen, während physische Belastungen eher zurückgehen. Solche psychischen Belastungen haben einen hohen Einfluss auf die Produktivität eines Unternehmens und z. B. auch auf die Häufigkeit von Absenzen.

Obwohl Unternehmen das Thema vermehrt als wichtig einstufen, sind psychische Belastungen in der Arbeitswelt nach wie vor stigmatisiert. Man kann heute drei Monate krankgeschrieben sein, weil die Achillessehne gerissen ist. Aber bei der Arbeit fehlen wegen einer Depression? Das ist nach wie vor schwierig. Spannend ist für uns die Frage, welchen Beitrag die Arbeits- und Organisationspsychologie für die psychische Gesundheit bei der Arbeit leisten kann.

Wie kann oder muss Arbeit gestaltet werden, damit Mitarbeitende langfristig gesund und leistungsfähig bleiben?

Hierzu braucht es zweierlei. Erstens muss das Umfeld es uns ermöglichen, gesund zu bleiben. Dabei geht es z. B. um ergonomische Arbeitsplätze für die körperliche Gesundheit oder auch um führungsrelevante Aspekte wie das Erfahren von Anerkennung und Wertschätzung durch die Vorgesetzten. Gerade bei psychischen Belastungen und Störungen hilft es zudem, wenn das Unternehmen zeigt, dass diese Themen relevant sind und keinem Tabu unterliegen.

Zweitens braucht es die eigenen, inneren Kräfte, um gesund zu bleiben. Beeinflussbar sind dafür z. B. die Erholung und das soziale Umfeld. Wie viele Pausen mache ich? Wie kann ich mein Schlafverhalten optimieren? Oder: Wo kann ich in meinem Umfeld Unterstützung erhalten? Wem kann ich mich anvertrauen?

Was ist eine Erkenntnis zum Thema, die Sie überrascht hat?

Im Rahmen des Vollzugsschwerpunktthemas «Psychosoziale Risiken» des SECO besuchten Arbeitsinspektoren verschiedene Unternehmen. Erfreulicherweise zeigte sich, dass Interventionen häufig wirksam sind. Etwas negativ erstaunt hat mich aber, dass Unternehmen nach wie vor stark einzelfallbezogen reagieren. Erfährt ein Mitarbeiter eine hohe psychische Belastung, wird auf diese Person reagiert und nach Lösungen gesucht. Ein systematischer und proaktiver Ansatz z. B. in Bezug auf eine gesundheitsfördernde Arbeitsgestaltung fehlt (noch) vielfach in den Unternehmen.

Was kann die Digitalisierung zur Schnittstelle Arbeit und Gesundheit beitragen?

Unsere Aufgaben verändern sich. Menschliche Arbeit wird vermehrt von Maschinen übernommen. Gerade eintönige und belastende Arbeiten fallen vermehrt weg - was gut ist. Gleichzeit erhöht die Digitalisierung aber auch die Arbeitsplatzunsicherheit, und sie verursacht Unklarheit und Unplanbarkeit.

In der Führung braucht es ein neues Verständnis, wie man Personen begleitet. Man kann niemandem versprechen, dass er in zehn Jahren noch den gleichen Job hat. Es geht vielmehr darum, Leute zu befähigen, mit Unsicherheit umzugehen. Lebenslanges Lernen ist hier ein zentrales Stichwort.

Digitalisierung kann uns aber auch dabei helfen, mit Unsicherheiten oder psychischen Belastungen umzugehen. Verschiedene Firmen, wie z. B. Helsana, arbeiten mit Apps und Online-Tools, die zum Teil sehr einfach und spielerisch Führungskräften und Mitarbeitenden Unterstützung anbieten. Solche Tools können wertvolle Ansätze aufzeigen, wie man z. B. auf einen Mitarbeitenden zugehen kann, der psychisch angeschlagen ist – oder im umgekehrten Fall, welche Schritte man selber unternehmen kann, wenn man merkt, dass man an seine Grenzen stösst.

Hat sich die Erkenntnis, dass Gesundheitsschutz nicht nur Sache der Mitarbeitenden, sondern auch der Führung ist, genügend durchgesetzt?

Leider nein. Viele Führungskräfte fühlen sich entweder nicht zuständig oder als nicht kompetent. Dabei gilt gerade hier, dass frühzeitiges Handeln wichtig ist: Lieber das Thema etwas zu früh als zu spät ansprechen. Ein guter erster Schritt für Führungskräfte ist es, sich zuerst einmal zu informieren. Viele Plattformen wie wie-geht-es-dir.ch geben Tipps und Informationen. Weiter gibt es gute Checks, die man für sich selber und das Team nutzen kann.

Hat man jemanden im Team, der sich in einer kritischen Situation befindet, ist es wichtig, nicht zu lange «auszuprobieren», und sich professionelle Unterstützung zu holen. Aus Sicht des Mitarbeitenden gilt ähnliches: Nicht zu lange warten und sich an die Führungskraft oder eine Vertrauensperson in der Firma wenden. Selbstchecks können erste Hinweise und Tipps liefern. Je nach Situation kann es sinnvoll sein, einen Arzt zu kontaktieren.

Nach dem Schwerpunktjahr: Was sind Ihre Top 5 Lessons Learned?

  • Psychische Gesundheit ist ein Kernthema der Arbeits- und Organisationspsychologie. Arbeits- und Organisationpsychologen können bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Zusammenarbeit wirksam unterstützen.

  • Gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Globalisierung sind wir in der Arbeitswelt alle herausgefordert, psychisch gesund zu bleiben.

  • In vielen Arbeitskontexten und in der Gesellschaft allgemein sind psychische Belastungen nach wie vor ein Tabuthema und Menschen mit psychischen Erkrankungen werden stigmatisiert.

  • Es braucht weitere Bemühungen, um auf das Thema aufmerksam zu machen, zu sensibilisieren und einen offeneren Umgang damit zu finden.

  • Massnahmen zur Förderung psychischer Gesundheit sind wirksam – Investitionen lohnen sich auch wirtschaftlich. 

Ungünstige psychische Belastungen wie Zeitdruck beeinflussen nicht nur die psychische Gesundheit – sondern auch die physische. Studien belegen beispielsweise, dass Assistenzärzten unter Zeitdruck deutlich häufiger gravierende medizinische Fehler unterlaufen. Das Schaffen einer sicheren, vertrauensvollen Atmosphäre, um über psychische Störungen oder Belastungen zu sprechen, ist also nicht nur Kür, sondern Pflicht und kann Leben retten.


Weiterführende Informationen und Quellen:

Autor/in
Regula von Büren

Regula von Büren

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