Effekte der Globalisierung
Annette Rath
Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Christian Fichter schildert im Interview welche Effekte die Globalisierung auch aus psychologischer Sicht mit sich bringt.
Wer profitiert von der Globalisierung, wer nicht?
Aus globaler Perspektive profitiert kurz gesagt jeder, der etwas hat, das auf dem Globus nachgefragt wird. Das kann Wissen sein, z. B. in Form von Bildung oder Patenten. Das können Rohstoffe sein, Kapital oder Arbeitskraft. Aber neben diesen wirtschaftlichen Grössen profitieren auch die Exporteure von Kulturgütern, z. B. in Form von Popmusik oder Fernsehserien, oder von Wertesystemen, z. B. in Form von Religionen. Ein Beispiel dafür sind religiöse Extremisten. Obwohl die meisten von ihnen die Globalisierung verurteilen, profitieren sie sehr davon.
Leidtragende sind alle, die nichts Derartiges anzubieten haben, die über keine Güter, Werte oder Arbeitskraft verfügen, die irgendwo nachgefragt werden. Das sind v. a. Länder und Personen mit tiefer Bildung, unpopulären Werten, oder mit wenig Arbeitskraft.
Globalisierung ist ein normaler, natürlicher Prozess: Es ist nichts anderes als der urmenschliche Wunsch nach Austausch – von Gütern, von Kultur, von Zuneigung. Davon profitieren Menschen seit jeher sehr. Das Problem liegt darin, dass unsere psychologischen Systeme für den Austausch in einer lokalen Gruppe angepasst sind. Schon beim Austausch zwischen Gruppen – etwa zwischen Gemeinden – braucht es komplexe Regeln. Das haben unsere Vorfahren zwar in den Griff bekommen, aber es hat seine Zeit gedauert. Daraus lässt sich folgern: Wir können vielleicht auch globalen Austausch beherrschen: Aber nur, wenn das ein langsamer, kontinuierlicher Prozess ist. Ansonsten überfordern wir uns mit der Komplexität.
Und bezogen auf die Schweiz, wer profitiert und wer verliert hier von der Globalisierung?
Aus nationaler Perspektive gilt dasselbe wie eben gesagt, einfach in kleinerem Massstab. Das haben wir bereits gesehen bei den vielen Firmen, die mit den günstigen Produktionskosten ihrer ausländischen Konkurrenz nicht mithalten konnten. Bislang konnte das durch den höheren Bildungsstandard und durch Begrenzungen des Freihandels abgefedert werden. Doch auf diesen Vorteilen darf sich die Schweiz nicht ausruhen.
Wie beurteilen Sie die verschiedenen Freihandelsabkommen, die derzeit wieder vermehrt diskutiert werden?
Globalisierung ist nicht per se gut oder schlecht – das gilt auch für die momentanen Versuche, sie voranzutreiben. Sie lässt sich wohl nicht aufhalten – aber die Frage ist: Wie gestalten wir sie? Und hier sehen wir momentan grosse Zweifel in weiten Teilen der Bevölkerung. Daher gilt für Erweiterungen des Freihandels, dass diese gesellschaftlich verträglich gestaltet werden müssen, um von der Bevölkerung akzeptiert zu werden. Das heisst: Freihandel sollte denen, die etwas Nachgefragtes anzubieten haben, helfen, es auf den Markt zu bringen – und handkehrum jene beschützen, die nichts anzubieten haben. Das Problem dabei ist nur: Wie macht man das? Ich habe meine Zweifel, ob es gelingen würde, einen global völlig liberalisierten Freihandel in diesem Sinne zu gestalten. Denn die Volkswirtschaften sind zu unterschiedlich, und die konfligierenden Werte sind zu vielfältig, als dass man sie einfach so aufeinander los lassen könnte.
Was muss die Politik tun, um jenen zu helfen, die unter der Globalisierung leiden?
Die Globalisierung wäre weniger problematisch, wenn alle davon profitieren würden. Also müsste alles getan werden, damit alle an den positiven Folgen der Globalisierung teilhaben könnten. Das ist keine Utopie – tatsächlich gibt es viele Beispiele für Globalisierungsfolgen, die sich auf die meisten Menschen positiv ausgewirkt haben: beschleunigte Innovation, leichteres Reisen, vielfältigere Information. Aber es gibt auch viele Gegenbeispiele: Marginalisierung vieler Berufsstände, Migrationsdruck, Verlust an kultureller Identität, Umweltschäden – um nur ein paar zu nennen. Bis wir diese in den Griff bekommen, ist eine Beschleunigung der Globalisierung ökonomisch, sozial und was religiöse und politische Konflikte angeht, bedrohlich. Was die Schweiz angeht, so erachte ich Investitionen in Bildung und Forschung als essentiell, um den Herausforderungen der Globalisierung gewachsen zu sein.
Derzeit feiern Parteien mit globalisierungskritischen Positionen Erfolge, offensichtlich treffen sie beim Publikum einen Nerv. Was könnte es politisch bedeuten, wenn den Globalisierungsverlierern und -skeptikern nicht geholfen wird?
Das ist sehr ernst zu nehmen. Wir stehen an einem Scheideweg. Wenn die Bevölkerung von den Vorteilen der Globalisierung überzeugt ist, wird sie diese mittragen. Andernfalls werden in demokratischen Ländern deren Befürworter abgewählt, und in weniger demokratischen eingesperrt oder weggesprengt. Die politischen und ökonomischen Wortführer der Globalisierung sollten deshalb zentrale psychologische Mechanismen berücksichtigen: Die zwei für das Überleben wichtigsten Verhaltensweisen sind Annäherung und Vermeidung. Wir nähern uns den Dingen an, die uns am Leben halten. Und wir vermeiden die Dinge, die wir für bedrohlich halten. Beides hat sehr viel mit Wahrnehmung zu tun. Im Moment nehmen die Menschen sehr viel Negatives wahr im Zusammenhang mit der Globalisierung. Das muss sich ändern – und zwar, indem die Fakten geändert werden, nicht die Wahrnehmung. Schönfärberei nützt nichts, nur echte Rücksichtnahme auf die Annäherungs- und Vermeidungsbedürfnisse der Menschen.