Neues EU-Mehrwertsteuersystem Neues EU-Mehrwertsteuersystem
Ein Interview mit Anita Machin (Symbolbild)

Jeder, der sich mit Mehrwertsteuer befasst, weiss, wie kompliziert das europäische MWST-System ist. Anita Machin gibt uns in diesem Interview einen Überblick über die Neuerungen des neuen EU-MWST-Systems.

Frau Machin, können Sie uns sagen, wie hoch die derzeitigen Mindereinnahmen aufgrund der Schwächen des europäischen MWST-Systems sind?

Die aus den Schwächen des Systems resultierende Mehrwertsteuerlücke beträgt gemäss EU-Kommission jährlich über EUR 150 Milliarden beziehungsweise über 12 Prozent der fälligen Mehrwertsteuer. Schätzungen zufolge verursacht allein der grenzüberschreitende Betrug Mehrwertsteuereinbussen von rund 50 Mrd. EUR (d.h. 100 EUR pro EU-Bürger) jährlich. Diese Gelder können zur Finanzierung von kriminellen Vereinigungen, einschliesslich des Terrorismus, genutzt werden. Schätzungen zufolge könnten diese Ausfälle durch die vorgeschlagene Reform um 80% verringert werden.

Im Dezember 2018 wurden Sofortmassnahmen beschlossen, welche per 1. Januar 2020 in Kraft treten werden. Um welche Neuerungen handelt es sich dabei?

Zum einen geht es um die vereinfachte Abwicklung von Konsignationslagergeschäften. Bis dato gab es keine einheitliche Regelung im Zusammenhang mit Konsignationslagergeschäften. Nun soll eine Vereinheitlichung innerhalb der EU geschaffen werden. Nicht im Zeitpunkt der Einlagerung der Waren, sondern erst im Zeitpunkt der Entnahme der Waren durch den Abnehmer soll die innergemeinschaftliche Lieferung erklärt werden. Der Zeitraum zwischen Einlagerung und Entnahme der Waren darf jedoch zwölf Monate nicht überschreiten.

Desweiteren geht es um die Vereinheitlichung bei Reihengeschäften. Reihengeschäfte führen aus mehrwertsteuerlicher Perspektive stets zu Schwierigkeiten; insbesondere, wenn die mittlere Partei den Transport beauftragt. Es stellt sich die Frage, wem die „bewegte“ Lieferung zugeordnet wird. Die hier beschlossene Massnahme soll zu einer Vereinheitlichung bei solchen Geschäften führen.

Eine weitere Neuerung ist das Vorliegen einer UID-Nummer als materielle Voraussetzung für eine Steuerbefreiung. In Zukunft muss einerseits eine gültige UID-Nummer des Erwerbers im anderen Mitgliedstaat vorliegen und andererseits soll der liefernde Unternehmer die Lieferung in die Zusammenfassende Meldung aufnehmen.

Was bedeuten diese Neuregelungen für die Unternehmen?

Die Neuregelungen im Bereich EU-Mehrwertsteuer und E-Commerce sind auch für Unternehmen aus Drittländern wie der Schweiz hochrelevant. Eine sorgfältige Analyse auf Organisations- und Prozessebene ist somit unabdingbar. Gerade vor dem Hintergrund möglicher kurzfristiger Änderungen scheint es zudem sinnvoll, bereits heute Vorbereitungen zu treffen. So ist es beispielsweise ratsam, die UID-Nummern von Kunden und Lieferanten regelmässig zu überprüfen und Rechnungsformulare anzupassen, sodass die UID-Nummern bei EU-Lieferungen zu Pflichtfeldern werden.

Besten Dank Anita Machin für das spannende Interview!

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