Verjährungsdschungel bei der Verrechnungssteuer Verjährungsdschungel bei der Verrechnungssteuer
Die zwei "Verjährungssysteme" werden anhand des VStG und VStrR erläutert. (Symbolbild)

Die Verjährungsregeln der Verrechnungssteuer sollten einfach und klar sein. Leider ist dies nicht der Fall: Es gibt nämlich zwei anwendbare „Verjährungssysteme“, und das Fehlen einer absoluten Verjährungsfrist im VStG1 reduziert die Komplexität nicht.

Die ordentliche Verjährungsregel nach VStG ist wie folgt: Die Verrechnungssteuerforderung verjährt gestützt auf Art. 17 Abs. 1 VStG fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie gemäss Art. 12 VStG entstanden ist, d.h. mit Fälligkeit oder Entrichtung der steuerbaren Leistung. Unter bestimmten Voraussetzungen beginnt die Verjährung gemäss Art. 17 Abs. 2 VStG gar nicht oder steht still oder wird gemäss Art. 17 Abs. 3 VStG unterbrochen. Mit der Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem. Hierbei handelt es sich wiederum um die fünfjährige Verjährungsfrist von Art. 17 Abs. 1 VStG, wobei die Frist neu individuell und nicht mehr nach Kalenderjahren zu berechnen ist. Mit Eintritt der Verjährung der Verrechnungssteuerforderung als öffentlich-rechtliche Forderung geht diese unter und die Pflicht zur Bezahlung der Verrechnungssteuer bzw. zur Vornahme einer Meldung entfällt. Bei der fünfjährigen Verjährungsfrist von Art. 17 Abs. 1 VStG handelt es sich um eine relative Verjährungsfrist. Eine absolute Verjährungsfrist, also eine Frist, welche weder unterbrochen werden kann noch stillsteht, kennt das Verrechnungssteuerrecht dagegen nicht. Als Folge dieser Konzeption kann eine Verrechnungssteuerforderung durch Verjährungsunterbrechungen „ewig“ am Leben gehalten werden.

Das zweite Verjährungssystem ergibt sich aus der Anwendung des VStrR2 . Art. 12 Abs. 1 Bst. a VStrR lautet wie folgt: Ist infolge einer Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes zu Unrecht eine Abgabe (…) nicht erhoben (…) worden, so sind die Abgabe (…) und der Zins, ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person, nachzuentrichten oder zurückzuerstatten. Die Verrechnungssteuer gehört zur Verwaltungsgesetzgebung des Bundes und die Nichtdeklaration einer steuerpflichtigen Leistung erfüllt den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung im Sinne von Art. 61 Bst. a VStG. Deshalb stellt die Nichtdeklaration einer geldwerten Leistung gemäss Bundesgerichtspraxis bereits eine Widerhandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Bst. a VStrR vor und die ESTV hat damit eine zu Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG parallele Anspruchsgrundlage für die Erhebung der Verrechnungssteuer. Unabhängig von einem Verschulden (weil nur der objektive Tatbestand erfüllt sein muss) oder sogar von der Eröffnung eines formellen Strafverfahrens beträgt die anwendbare Verjährungsfrist diesfalls gestützt auf die massgebenden gesetzlichen Grundlagen „Verwaltungsstrafrecht und allgemeines Strafrecht“ sowie die Auslegung des Bundesgerichts sieben Jahre. Art. 17 VStG findet gerade nicht Anwendung. Wichtig ist, dass diese siebenjährige Frist am Tag nach dem Tag, an welchem die „Widerhandlung gegen die Gesetzgebung des Bundes“ erfolgt ist, zu laufen beginnt. Im Fall der Verrechnungssteuer ist dies regelmässig der Tag, an welchem die massgebende Jahresrechnung bei der ESTV eingereicht wird oder hätte eingereicht werden müssen.

Ungeachtet der Parallelität der Anspruchsgrundlagen für die Erhebung der Verrechnungssteuer mit den unterschiedlichen Verjährungsregelungen kann festgestellt werden, dass in der Praxis die ESTV in aller Regel auch bei geldwerten Leistungen ihren Anspruch auf Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG stützt und entsprechend auch die Verjährungsregel von Art. 17 VStG anwendet. Die Betonung liegt jedoch auf „in aller Regel“: Insbesondere bei Eröffnung eines Hinterziehungsverfahrens findet grundsätzlich die Verjährungsordnung des VStrR und somit die siebenjährige Verjährungsfrist Anwendung. Es besteht mithin keine Sicherheit darüber, ob die fünfjährige Verjährungsfrist von Art. 17 Abs. 1 VStG oder die siebenjährige Verjährungsfrist gemäss VStrR angewandt wird oder nicht. „Verjährungssicherheit“ besteht somit erst, wenn die sieben Jahre – nicht ab Entstehung der Steuerforderung, sondern ab Tatbegehung und mithin praktisch mit der Einreichung der Jahresrechnung – abgelaufen sind.

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Quellenangaben:

1Bundesgesetz vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (SR 642.21)

2Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht

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