Vielfalt: Integration oder Inklusion? (3/4)
Jérôme Oguey
Inklusion sei der Schlüssel zum Erfolg, wenn es um Vielfalt geht – so heisst es zumindest. Aber was genau bedeutet Inklusion? Hiess das Erfolgsrezept bis anhin nicht Integration?
Anpassung versus Gleichberechtigung
Integration und Inklusion werden im Kontext von Diversity oftmals als Synonyme verwendet. Sie sind jedoch zwei unterschiedliche Konzepte. Integration bedeutet, dass eine Minderheit in das bestehende System einer relativ homogenen Mehrheit integriert werden muss. Das heisst, dass der Einzelne sich anpassen muss, um ein vollwertiges Mitglied des Systems zu werden (Schöb, 2013). Folgt z.B. ein neues Mitglied in einem bestehenden Team nicht den herrschenden Teamregeln, wird es von der Gruppe mit grösster Wahrscheinlichkeit ausgegrenzt. Anders gesagt heisst es für das neue Mitglied: Füge dich oder du gehst unter.
Wir kennen diesen Mechanismus auch auf politischer Ebene. Die Schweiz gilt als Zuwanderungsland für Asylsuchende und Menschen mit Migrationshintergrund. Von ihnen wird erwartet, dass sie die Schweizer Grundwerte respektieren und sich an die sozialen und demokratischen Prinzipien des Landes halten. Das ist Integrationspolitik. Wer sich nicht daran hält, riskiert den Landesverweis. Inklusion hingegen nimmt den Einzelnen als gleichberechtigt wahr, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder Bildung, von eventuellen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen.
Inklusion als Hebel für Mitarbeiterengagement
Auch mit Inklusion ist eine gewisse Anpassung des Einzelnen durch die Annahme von bestehenden Werten und Arbeitsprinzipien verbunden, aber nicht nur. Nur wenn sich die Arbeitskultur zu einem gewissen Grad allen Teammitgliedern entgegenkommt, entwickelt sich ein offener, wechsel- und gegenseitiger Lernprozess, so dass sich dank dem Einfluss des Einzelnen alle, sowohl Teammitglieder als auch Führungskräfte, weiterentwickeln. Die dazu notwendige Bereitschaft wird massgebend von der Führung geprägt und vorgelebt. Dadurch können sich alle Mitglieder eines Teams oder einer Organisation wertgeschätzt und sicher fühlen. Nur so werden sich alle voll und ganz für das Team und seine Mission engagieren. Inklusion gilt daher als wichtigster und wirkungsvollster Hebel für Mitarbeiterengagement und somit für Höchstleistung in Organisationen.
Wir erinnern uns an die verheerenden Zahlen der aktuellen Gallup-Studie. Bei dieser wird die Zahl der "nicht-engagierten" Mitarbeitenden auf 70 Prozent geschätzt. Diese leisten sogenannten Dienst nach Vorschrift. Die übrigen Mitarbeiterkategorien "konstruktiv-engagiert" und "destruktiv-engagiert" sind ähnlich stark in Unternehmen vertreten. Ihre Kräfte annullieren sich also. Dank inklusiven Führungs- und Zusammenarbeitspraktiken kann ein Unternehmen den Anteil an "konstruktiv-engagierten" Mitarbeitenden erhöhen, was einen vielfachen Zuwachs an Leistungsfähigkeit und Innovation bedeutet.
Fazit
Eine Firma, die keine dezidierte Inklusionsstrategie verfolgt, verpasst es, Vorteile aus der Heterogenität ihrer Organisation zu ziehen und riskiert zudem, wichtige Talente zu verlieren. Sie ist daher gut beraten, die Inklusionskompetenz ihrer Führungskräfte gezielt und aktiv zu fördern.
Im letzten Teil dieser Beitragsserie erfahren Sie, welche konkreten Herausforderungen es zu meistern gilt, damit Inklusion tatsächlich in einem Unternehmen entstehen kann.
Lesen Sie auch:
Vielfalt entscheidet über Geschäftserfolg – Teil 1
Vielfalt: die kritische Rolle der Führung – Teil 2
Hauptherausforderungen der Inklusion: die 3 Ks - Teil 4
Quellen und weiterführende Informationen
Schöb, A. (2013). Integration und Inklusion
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