Herr Odermatt, Director – Financial Services bei Deloitte AG, verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche. Er arbeitete zudem für zwei globale Grossbanken in diversen leitenden Funktionen, in welchen er sie in verschiedenen internationalen sowie Schweizer branchenspezifischen und regulatorischen Belangen beriet. Ausserdem vertrat er diese über die Jahre hinweg in diversen Komitees zur Festlegung von Bilanzierungsgrundsätzen.

In der zweiteiligen Blogserie zum Thema IFRS 9 – Finanzinstrumente „No time like the present“ gibt Herr Odermatt einen interessanten Einblick zu praxisrelevanten Fragen und zeigt sowohl die Vorteile als auch die Schattenseiten der Neuerungen von IFRS 9 auf. 

1. Was fällt bei IFRS unter den Finanzbegriff?
Finanzinstrumente sind grundsätzlich Verträge, die zu finanziellen Vermögenswerten oder finanziellen Verbindlichkeiten führen. Finanzielle Vermögenswerte und -Verbindlichkeiten umfassen beispielsweise: flüssige Mittel, Investitionen in Eigenkapitalinstrumente oder Schuldtitel, Bank-, Kundenguthaben und -Verpflichtungen, Forderungen aus Lieferungen und Derivate.

2. Wie relevant sind Finanzinstrumente für Unternehmen?
Für die meisten Unternehmen sind Finanzinstrumente wichtig. Bei Banken besteht der Grossteil der Bilanz aus Finanzinstrumenten und sind somit ausserordentlich wichtig. Bei Versicherungen bestehen vorwiegend die Aktiven aus Finanzinstrumenten während auf der Passivseite die Versicherungsverpflichtungen dominieren. Versicherungen können, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, IFRS 9 zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit dem neuen Versicherungsstandard einführen. Für Unternehmen, die nicht in der Finanzindustrie tätig sind, ist die Bedeutung von Finanzinstrumenten geringer. Bei Nestlé beispielsweise besteht die Aktivseite zu etwa 20% aus Finanzinstrumenten während passivseitig über 40% auf Finanzinstrumente entfällt.

3. Was wird wohl eine Schattenseite von IFRS 9 sein?
Die ursprüngliche Idee bei der Erarbeitung von IFRS 9 war die Vereinfachung des komplexen Accountings für Finanzinstrumente unter IAS 39. Leider sind die tatsächlichen Vereinfachungen durch IFRS 9 bescheiden und mit der Implementierung des erwarteten Verlustkonzeptes wurde eine massive Erhöhung der Komplexität erzielt.

4. Welche positiven Auswirkungen hat IFRS 9 auf das Hedge Accounting?
Beim neuen Ansatz wurde das Hedge Accounting mit dem Risikomanagement verzahnt. Hier sehen wir sicherlich eine massive Vereinfachung bei der künftigen Anwendung von Hedge Accounting. Einerseits wurden weitere Grundgeschäfte zur Absicherung zugelassen und gleichzeitig wurde die Palette der Sicherungsinstrumente erweitert. Ausserdem wurde das bisherige Korrelationserfordernis von 80-125% zwischen Hedge und Absicherung fallen gelassen und durch den Nachweis der ökonomischen Beziehung von Grund- und Sicherungsinstrument ersetzt. Die Vereinfachung des Hedge Accountings ist sicherlich sehr willkommen – ganz besonders bei den Corporate Unternehmen.

5. Welchen Einfluss hat IFRS 9 auf Wertberichtigungen für Ausfallrisiken?
Generell dürften die Wertberichtigungen für Ausfallrisiken ansteigen. Erste Analystenschätzungen erwarten, dass die Europäische Bankenindustrie zusätzliche Rückstellungen im zweistelligen Milliardenbereich tätigen muss; zu Lasten der Kapitalisierung (Core Equity Tier 1). Schweizer Banken dürften im Vergleich zur Europäischen Konkurrenz weniger betroffen sein, da in der Schweiz die Kreditverluste der vergangenen Jahre bis heute sehr gering waren.

In einem zweiten Teil "Experten-Interview: Wie praxisrelevant ist IFRS 9? (Teil 2/2)" werden weitere praxisrelevante Fragen zu IFRS 9 beantwortet.

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Dieses Interview ist ein Auszug von der a+c Fachkonferenz der Kalaidos Fachhochschule, an der Herr Odermatt zum Thema IFRS 9 – Finanzinstrumente „No time like the present“ im September 2016 referierte.

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