17 namhafte Expertinnen und Experten aus verschiedenen Praxis- und Rechtsbereichen verhandelten in drei Panels «Wirtschaft», «Umwelt» und «Gesellschaft» über den zunehmend rechtlich geprägten Begriff «nachhaltige Entwicklung».
In den Panels präsentierten zuerst Referierende in Impulsreferaten einen kleinen Teil der Resultate des von den Law Schools von Kalaidos geförderten Forschungsprojekts «Nachhaltige Entwicklung im Schweizer Recht» unter der Leitung von Prof. Dr. Charlotte Sieber Gasser (Geneva Graduate Institut, Universität Zürich, ZLS Zurich Law School), Prof. Dr. Rika Koch (Berner Fachhochschule) und Dr. Elisabeth Bürgi Bonanomi (Universität Bern). Anschliessend diskutierten sie ihre Thesen mit namhaften Expertinnen und Experten aus der Praxis. Im Q1 2025 wird dazu im Stämpfli Verlag ein Sammelband mit Beiträgen von über 30 führenden Rechtsexpertinnen und -experten erscheinen.
Organisiert und moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Daniel Dedeyan, LL.M. (Yale) (Walder Wyss, Universität Zürich, Rektor der ZLS Zurich Law School), und Prof. Dr. Charlotte Sieber-Gasser.
Der nachfolgende Bericht aus den Panels ist eine subjektive Auswahl von spannenden Aspekten aus den Präsentationen und der Diskussion. Sie hat nicht den Anspruch einer vollständigen Darstellung der überaus reichhaltigen Veranstaltung:

1. Takeaways

Einige wenige Takeaways seien herausgepickt:

  1. Nachhaltige Entwicklung, im Unterschied zu Nachhaltigkeit, bezieht sich auf das Zusammenspiel der Systeme. Als Rechtsbegriff, wie er sich international herauskristallisiert, vereint nachhaltige Entwicklung letztlich die Elemente der verfassungsmässigen Staatsaufgabe per se: das langfristige Gedeihen der Gemeinschaft. Die damit angesprochenen Probleme verschwinden nicht, unabhängig davon, ob «Nachhaltigkeit» gerade en vogue ist oder nicht.
  2. Der Begriff ist deshalb nicht so unbestimmt, wie gemeinhin angenommen. Schwierigkeiten eröffnen sich dagegen bei der Umsetzung der damit verbundenen Ziele.
  3. Nachhaltige Entwicklung kann nicht unabhängig von Digitalisierung als Treiberin eines immer grösseren Energieverbrauchs einerseits und als Rahmenbedingung und Mittel zur Umsetzung andererseits gedacht werden, nicht zuletzt wegen des wachsenden Bedarfs an Datenverarbeitung.
  4. Um in der Umsetzung auf eine neue Stufe kommen, ist nicht auf immer komplexere, bürokratische Offenlegungsvorschriften, sondern auf eine Vereinfachung und bessere Vermittelbarkeit zu setzen. Noch zu wenig Wert gelegt wird auf die für die Umsetzung zentrale Planungssicherheit.
  5. Auch bei den Daten ist Vereinfachung das Gebot der Stunde und ist der Fokus von Vollständigkeit und Messbarkeit vermehrt hin zu Vergleichbarkeit in der Zeit zu verschieben.
  6. In seiner Abstraktheit beschreibt der Begriff weniger konkrete Handlungsvorgaben, sondern eröffnet eine zunehmend institutionalisierte Diskussionsplattform zwischen verschiedenen Akteuren mit oft konträren Interessen, und er hat das Potenzial, bereichsspezifisch eingefahrene Prozesse in Frage zu stellen.
  7. Die Unversöhnlichkeit von Positionen verschiedener Akteure hat oft mit fehlenden persönlichen Kommunikationskanälen zu tun. Besteht eine Plattform, können sich überraschende Konsense bilden, wie in einem der Panels vor Ort geschehen.
  8. Ein prozedurales Verständnis ist umso nötiger, als sich in der Praxis etwa am Beispiel der über 10’000 verschiedenen schwer abbaubaren Chemikalien namens PFAS zeigt, dass sich nachhaltige Entwicklung nicht auf einen Schlag per Gesetz einführen lässt. Nachhaltige Praxis ist vielmehr ein «moving target», welches eine fortlaufende Rechtsadjustierung basierend auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfordert. Dasselbe gilt für schleichende und damit im öffentlichen Bewusstsein in den Hintergrund tretende Prozesse wie den demographischen Wandel.
  9. Zudem gibt es auch nicht das eine richtige Regulierungsinstrument. So greifen z.B. Lenkungsabgaben zwar schonend über den Preis statt über Gebote und Verbote in die Wirtschaft ein. Doch nicht alle Problemfelder lassen sich über Preise steuern, man denke an die Geschlechtergleichstellung.
  10. Not tut eine bessere Verzahnung von Finanzindustrie und Realwirtschaft, die durch verstärkte Stewardship von Unternehmen sowie durch eine Konkretisierung der Nachhaltigkeitsstandards, die noch zu sehr von der Finanzindustrie her gedacht sind, auf Industriebetriebe zu erreichen ist.

2. Einführung

In seiner Begrüssung legte Prof. Dr. Daniel Dedeyan dar, dass der Begriff der nachhaltigen Entwicklung zunehmend vom Recht definiert wird und in zahlreiche Praxis- und Rechtsgebiete ausstrahlt, wo er ein Eigenleben entwickelt, das zu Inkonsistenzen, Worthülsen und nicht zuletzt zu einem Regulierungsdickicht führt. Die sich daraus ergebenden Leitfragen für die Veranstaltung und das Forschungsprojekt sind deshalb:

(1) Was bedeutet nachhaltige Entwicklung im jeweiligen Bereich heute,
(2) Welche Schwierigkeiten stellen sich in der Umsetzung und
(3) welche Massnahmen sind zu ergreifen?

Zur Bewältigung von gesamtgesellschaftlichen Problemen, die sich nur kollektiv lösen lassen, gilt es, im Austausch von Erfahrungen aus den verschiedenen Bereichen Kongruenzen freizulegen und Lernprozesse zu ermöglichen. Dies ist das Ziel der Veranstaltung wie auch des gesamten Forschungsprojekts.

Im anschliessenden Einführungsreferat «Nachhaltige Entwicklung im Recht» führte Dr. Elisabeth Bürgi Bonanomi gleich zu Beginn den Nachweis, dass «nachhaltige Entwicklung» entgegen einer vorherrschenden Meinung keineswegs ein unbestimmter Allerweltsbegriff ist, sondern auf Völker-, Verfassungs- und Gesetzesstufe zunehmend definiert und verrechtlicht ist. So kann das Nachhaltigkeitsprinzip als konkretisierende «multidimensionale Methodennorm» gelesen werden, die – ähnlich wie das Verhältnismässigkeitsprinzip – die Interessensabwägung strukturiert. Es beinhaltet insoweit eine Handlungspflicht, als es die öffentliche Hand in die Pflicht nimmt, die grossen Nachhaltigkeitsherausforderungen auch anzugehen. Das «Wie» ist danach in einem abwägenden und optimierenden Prozess unter Berücksichtigung sämtlicher Nachhaltigkeitsdimensionen festzulegen. Das Prinzip sichert dabei nicht nur bestehende Erwartungen ab, sondern stellt auch Selbstverständlichkeiten in den verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft in Frage. Insofern importiert es in die verschiedenen Bereiche ein gewisses disruptives Element. Die Referentin zeigte anhand von Beispielen, dass das Potential des in der Verfassung verankerten Nachhaltigkeitsprinzips bei Weitem nicht ausgeschöpft ist.

3. Wirtschaft

Auf die «top down»-Perspektive vom völker- und verfassungsrechtlichen Begriff folgte der «bottom up»-Blick vom Unternehmen auf die resultierenden Regulierungen:

Prof. Dr. Beat Brändli (Schiffbau Rechtsanwälte, KLS Kalaidos Law School, ZLS Zurich Law School) konstatierte in seinem Referat «Nachhaltigkeitsberichterstattung und Unternehmensverantwortung: Ein ungleiches Paar» nach einem Überflug über die Regulierungen in der Schweiz und der EU kritisch, dass im Bereich der Offenlegung der Fokus immer weiter weg von nachhaltiger Entwicklung hin zur Abarbeitung der Berichterstattungsbürokratie schwenkt. Die aktuell überbordende Regulierung produziert kaum mehr verarbeitbare Datenmengen, bindet die knappen Ressourcen in diesem Bereich und verwischt Verantwortlichkeiten, anstatt sie sichtbar zu machen, was eigentlich eine ureigene Funktion von Transparenz wäre. Nötig wären einfachere Regeln, die sich auch leichter vermitteln lassen.

In seinem anschliessenden Referat «Nachhaltige Entwicklung durch Digitalisierung» zeigte Prof. Dr. Rolf H. Weber (Universität Zürich) auf, dass nachhaltige Entwicklung vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Megatrends der Digitalisierung zu sehen ist. Der Stromverbrauch für die Digitalisierung wächst jährlich exponentiell, was Nachhaltigkeitsziele insgesamt in Frage stellt. Zugleich bietet Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung grosse Chancen, etwa indem Prozesse effizienter gestaltet werden, ärztliche Behandlungen verbessert sowie Gesundheitskosten gesenkt werden könnten oder in Weltgegenden mit schlechter Infrastruktur Menschen Zugang zu wichtigen Dienstleistungen ermöglicht wird. In seiner Analyse zahlreicher Rechtsgebieten kommt Rolf H. Weber zum Schluss, dass die vorgegebenen Rechtsformen und Regelungen dieses Bedürfnis nur teilweise abdecken, etwa im Fall von rechtlich nicht vollständig abbildbaren Decentralized Autonomous Organizations (DAO).

Die anschliessende Paneldiskussion mit den Referierenden und externen Panelistinnen und Panelisten, moderiert von Daniel Dedeyan, wurde unter anderem die Frage erörtert, ob die Regulierung der nachhaltigen Entwicklung in die richtige Richtung geht.

Christa Markwalder (Head Public Affairs for Switzerland bei Zurich Insurance Group) zeigte auf, dass es im heutigen Umfeld im intrinsischen Eigeninteresse der Unternehmen ist, auf eine nachhaltige Entwicklung hinzuwirken, und betonte die Relevanz der Umsetzung in unternehmensinternen Policies und Standards. Sie bedauerte, dass in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt ist, was die Unternehmen alles unternehmen und schilderte konkrete Projekte wie beispielsweise die «Swiss Climate Action Initiative» oder das von Zurich mitfinanzierte, die Komplexität der Regulierung reduzierende Toolkit «esgtogo» für KMUs. Um Spielraum für Eigeninitiativen zu lassen, eignet sich eine prinzipienbasierte Regulierung im Unterschied zur überdetaillierten EU-Regulierung mit ihren viel zu vielen unbestimmten Begriffen etwa in den europäischen ESRS II. Auf den Einwand aus dem Publikum hin, nachhaltige Entwicklung sei Luxusprodukt und im Konkurrenzverhältnis würde das Unternehmen dann ja doch auf Kosten einer nachhaltigen Entwicklung sich gegen Massnahmen entscheiden, falls man sonst Kunden verliere, gab Christa Markwalder zu bedenken, dass kurzfristige Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf Gesellschaft und Umwelt einem grossen Marktakteur auf Dauer mehr schaden als nützen würde.

Auch RA Katja Brunner, LL.M. (Director Legal & Regulatory bei Swiss Sustainable Finance SSF) sah die EU-Regulierung kritisch, lobte aber den Schweizer prinzipienbasierten Ansatz in Kombination mit der Selbstregulierung. Sie gab zu bedenken, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung bisher noch zu sehr von der Finanzindustrie her gedacht ist und etwa für die Industrie spezifisch angepasste Regeln entwickelt werden müssten. Zu Stimmen, die sich eine Abkehr von ESG-Regulierung wünschen, und zum aktuell teilweise abnehmenden Interesse an Nachhaltigkeit merkte sie an, dass ESG nicht einfach verschwinden wird, zumal die entsprechenden Probleme bestehen bleiben und noch zunehmen werden.

Matthias Narr (Head Engagement bei Ethos Stiftung) hielt der Kritik an der aktuellen Regulierung und auch der EU-Regulierung entgegen, dass man seitens Asset Management und Stewardship froh ist um die detaillierteren und vergleichbareren Nachhaltigkeitsberichte. Erst diese Daten ermöglichen eine echte Beurteilung, fundierte Anlageentscheide sowie einen Dialog zwischen den Unternehmen und einer längerfristig orientierten, an Nachhaltigkeit interessierten Eigentümerschaft. Zur Frage der Messbarkeit räumte er ein, dass diese bei Stewardship und insbesondere im Bereich Engagement zwar schwierig ist, jedoch hier vielmehr die beobachtbaren relativen Veränderungen in der Zeit als die Messbarkeit in absoluten Zahlen im Vordergrund steht. Auf eine Frage aus dem Publikum, ob Ownership nicht neu zu denken wäre, erwähnte er entsprechende partizipative Modelle einiger Private Equity Unternehmen aus den USA, stellte jedoch die Frage, inwiefern solche Modelle weitere Verbreitung finden.

In der weiteren Diskussion wies Rolf H. Weber darauf hin, dass die Offenlegungspflichten besonders KMUs in Schwierigkeiten bringen und grosse Unternehmen KMUs umfangreiche Lieferkettenanforderungen überwälzen, was diese kaum tragen können. Auf eine Frage aus dem Publikum merkte er sodann an, dass in der Schweiz nicht mit einer Übernahme der EU-Taxonomie zu rechnen ist, wenngleich die Schweizer Bestimmungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung einen Bericht nach ausländischen Bestimmungen zulassen.

Unter Bezugnahme auf das Referat von Rolf H. Weber wies Daniel Dedeyan schliesslich anhand eines Beispiels aus seiner Beratungspraxis zu ESRS II darauf hin, dass die von der Regulierung produzierte Datenflut inzwischen Digitalisierung und in der Praxis sogar die Nutzung von künstlicher Intelligenz voraussetzt, was wiederum Daten produziert, die nur noch mit künstlicher Intelligenz verarbeitbar sind, womit der Fokus auf die Umsetzung echter nachhaltiger Entwicklung vollends verloren geht.

4. Umwelt

Wie Charlotte Sieber-Gasser bereits ankündigte, wechselte die Tonalität im zweiten Panel «Umwelt», das sie moderierte, vom Fokus auf Regulierung und Bürokratie im Bereich der Wirtschaft zum auf Sachthemen und harte Fakten bezogenen Umweltrecht.

Dr. iur. Judith Schäli (Zentrum für Umwelt und Entwicklung, Universität Bern) schilderte in ihrem Referat «Kreislaufwirtschaft: Chancen und Herausforderungen für die Nachhaltige Entwicklung» (Projekt gemeinsam mit Dr. iur. Christine Bühler, INTERFACE Politikstudien) die neue gesetzliche Regelung dieses Konzepts im Umweltschutzgesetz. Sie beleuchtete jedoch auch kritische Aspekte, etwa dass Kreislaufwirtschaft nicht automatisch zu einem geringeren Ressourcenverbrauch führt. Die Transition ist ressourcenintensiv, Ressourcenverluste im Kreis sind unvermeidlich und es gibt auch sog. Rebound-Effekte: effizienterer und damit günstigerer Ressourcenverbrauch kann zum Anreiz für mehr Ressourcenverbrauch werden. Ein einseitiges Setzen auf Kreislaufwirtschaft mag auch dazu verleiten, nichts am Konsumverhalten und am Wirtschaftssystem zu ändern. Sodann beschränkt sich Kreislaufwirtschaft ganz auf die ökologische Seite und blendet die soziale Dimension der nachhaltigen Entwicklung aus. In der Diskussion brachte Judith Schäli ein, dass sich das Konzept der Kreislaufwirtschaft bisher ausschliesslich den Ressourcenverbrauch beziehe, für eine nachhaltige Entwicklung jedoch auch den Konsum, die Arbeit und weitere damit vernetzte Bereiche reflektieren sollte.

Prof. (FH) PD Dr. Mirina Grosz (Poledna RC AG, Universität Basel) zeigte in ihrem Referat «Durchbruch im Klimarecht dank einem integrierten Konzept der nachhaltigen Entwicklung?» auf, dass ein einheitliches Konzept einer nachhaltigen Entwicklung im Rahmen des schweizerischen Klimarechts nicht auszumachen ist. Die einschlägigen Bundesgesetze stützen sich auch alle nicht auf die Nachhaltigkeitsbestimmung von Art. 73, sondern auf Art. 74 und Art. 89 der Bundesverfassung. Das heisst aber nicht, dass das Konzept im Klimarecht keine Rolle spielen würde. Vielmehr ist es auch dem Klimarecht inhärent. Insbesondere die Diskussionen rund um die Umsetzung des Netto-Null-Ziels und im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zur neuen Klimarechtsverordnung (KIV) verdeutlichen dies. Es wird aber kaum möglich sein, sämtliche Nachhaltigkeitsziele gleichzeitig und in gleichem Masse zu erreichen. Es wird eine grosse Herausforderung sein, die richtigen und dringend notwendigen Priorisierungen vorzunehmen.

Nochmals konkreter wurde MLaw Rahel Zimmermann (Ecosens AG, Universität Genf) in ihrem Referat zum «Altlastenrecht und Generationengerechtigkeit: Sind wir auf dem richtigen Weg?». Das Altlastenrecht verkörpert den Aspekt der Generationengerechtigkeit des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung gemäss Völkerrecht und Art. 2 Abs. 3 der Bundesverfassung geradezu exemplarisch. Es wurde vor 25 Jahren mit der Absicht lanciert, die Altlasten aus der Zeit vor Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes (USG) zu sanieren, um den künftigen Generationen möglichst saubere Böden und Gewässer zu überlassen, und in der Meinung, dass es nach Inkrafttreten des USG keine Altlasten mehr geben würde. Mit den über 10’000 schwer abbaubaren und in vielfacher Weise gesundheitsschädlichen Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) hat sich jedoch inzwischen gezeigt: Auch heute nutzen wir noch Schadstoffe, welche zu neuen Altlasten führen. Trotzdem wurden PFAS in der Schweiz bisher nicht verboten. In der EU sind hingegen Bestrebungen im Gang, PFAS zu verbieten, soweit sie aus gesellschaftlicher Sicht nicht unverzichtbar erscheinen. Als spezifischer Schwachpunkt in der Schweiz lässt sich weiter das Verfahren der Zulassung neuer Chemikalien identifizieren. Hier sollte künftig Persistenz von Stoffen höher gewichtet werden. Im Altlastenrecht zeigt sich folglich, wie sehr nachhaltige Entwicklung ein «moving target» ist und sich nicht einfach per Gesetz sicherstellen lässt. Es erfordert im Gegenteil eine fortlaufende Rechtsadjustierung basierend auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

In der darauffolgenden Paneldiskussion wies zunächst Markus Reubi, lic. iur. HSG und MBA McGill/HEC (Delegierter des Bundesrats für die Agenda 2030, Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten, EDA) auf den extrem breiten Nachhaltigkeitsbegriff der Agenda 2030 mit ihren 17 SDGs und 169 Unterzielen hin. Dieser umfasst zum einen viele Themen – von Armut, Arbeitslosigkeit, Klima über Biodiversität bis zu guter Regierungsführung – und betrifft zum anderen grundsätzlich alle staatlichen und nichtstaatlichen Akteure in 193 UNO-Mitgliedstaaten. Es ist deshalb naheliegend, dass je nach konkretem Umfeld teils fundamental verschiedene Prioritäten und Perspektiven das Nachhaltigkeitsverständnis prägen. Eine zusätzliche Verrechtlichung auf dieser Ebene ist weder sinnvoll noch effektiv. Diesbezügliche Absichten sind in vielerlei Hinsicht auch hinderlich, da die Gefahr des nicht auf die konkreten Umstände und Zielkonflikte angepassten Mikro-Managements und damit verbundener Überregulierung besteht. Da wir uns im Bereich des Soft Laws befinden, ist vielmehr ein Aushandeln konkreter Massnahmen und ein Bewältigen der Zielkonflikte zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren nötig. Entscheidend ist Planungssicherheit, weil nachhaltige Entwicklung grundsätzlich ein inkrementeller Prozess ist. Gerade in jüngster Zeit wird die Agenda 2030 und damit auch die Planungssicherheit punktuell in Frage gestellt, was der Umsetzung durch die diversen Akteure nicht förderlich ist. In der weiteren Diskussion bemerkte Markus Reubi, dass Verhandlungen – etwa um CO2Absenkungspfade – in der Schweiz und international (z.B. im Verhältnis mit BRICS-Staaten) nicht einfacher werden dürften.

Isabel Junker (Leiterin Sektion Siedlungsabfälle beim Bundesamt für Umwelt BAFU) nannte aus ihrem Bereich zahlreiche Zielkonflikte, auch Zielkonflikte im selben Departement. Für die Lösung von Zielkonflikten gibt es kein Patentrezept. Es ist ein ständiges Aushandeln und Abwägen. Um die Kreislaufwirtschaft zu fördern, ist es wichtig, dass bereits im Design von Produkten daran gedacht wird, wie sie später rezykliert werden können. Produkte sollten so lange wie möglich im Kreislauf gehalten werden und nicht nach nur kurzem Gebrauch entsorgt werden müssen. Auf eine Frage aus dem Publikum, warum man bei der Diskussion um Kunststoffe in der Umwelt die dünnen Plastiksäcke regelt, aber nicht den viel bedeutenderen Gummiabrieb von Pneus, erklärte Isabel Junker, dass die Regelung von Plastiksäcken als freiwillige Lösung der Branche umgesetzt wird, was bei Reifen nicht der Fall ist. Echte Nachhaltigkeit braucht tiefergehende globale gesellschaftliche Veränderungen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Leider gibt es auch immer wieder neue Wegwerfprodukte und damit eine gegenläufige Tendenz, wie Isabel Junker weiter ausführte.

Fabian Etter (Co-Präsident Dachverband Swisscleantech, Co-Founder CEO4Climate) zeigte eindrücklich die Bestrebungen einer grossen Zahl von Unternehmen in der Verfolgung von Klimazielen auf. Den Unternehmen muss jedoch hierfür Raum gelassen werden. Ein Problem bei der praktischen Umsetzung ist auch die Komplexität der Materie, die oft dazu führt, dass Vorlagen und Regelungen nicht verstanden werden, etwa im Fall von Lenkungsabgaben. Hier würde er sich mehr persönlichen Austausch und Plattformen wünschen, auf denen sich Unternehmen und politische Akteure direkt austauschen können. Neuliche Gelegenheiten des Austauschs mit Parteivertretern sehr verschiedener Ausrichtung bestärkten ihn darin. Er stellte hierbei fest, dass der Begriff der nachhaltigen Entwicklung seiner Erfahrung nach genau das leiste: einen Kommunikationskanal über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg zu eröffnen. Ein weiteres Problem bei der Umsetzung sieht er darin, dass viele Massnahmen seitens der Verwaltung viel zu bürokratisch aufgezogen werden, sodass sich Unternehmen, die grundsätzlich bereit zur Umsetzung wären, zurückziehen. Die bereits erwähnten Lenkungsabgaben sind ein Gegenbeispiel, sie werden von den Unternehmen breit akzeptiert. Er bedauert, dass Nachhaltigkeit in Unternehmen teils zu einem blossen Compliance-Thema geworden ist, das frustriert und nicht motiviert, deshalb möchte sein Verband vermehrt die Chancen in den Vordergrund rücken. Ein anderes Problemfeld sieht er in einer zu geringen Verzahnung von Finanz- und Realwirtschaft, wenn etwa an einer kürzlichen ZKB-Veranstaltung bei einer Umfrage, welche Unternehmen von ihrer Bank in Nachhaltigkeitsthemen begleitet werden, nur rund 20% die Hand heben. Die Unternehmen seines Verbandes waren froh, mit dem Energiegesetz, dem Klima- und Innovationsgesetz und dem CO2-Gesetz drei Pfeiler als Anhaltspunkte zu haben. Fabian Etter sieht jedoch ebenfalls die Planungssicherheit in Gefahr. Denn gerade der Bundesrat stellt einige der vom Volk gewollten Bestimmungen in Frage. Dies hemmt eine nachhaltige Entwicklung und trägt nicht dazu bei, den «Gap» zwischen Gesetz und Umsetzung zu schliessen. Fabian Etter exemplifizierte dies wiederum an den CO2-Lenkungsabgaben. In einer nachfolgenden Diskussion mit dem Publikum zum Thema Verzicht wendete Fabian Etter ein, dass dies keine Basis für die Bildung von Mehrheiten wäre, um Unternehmen auf den Pfad der Klimaverträglichkeit zu bringen.

5. Gesellschaft

Marc Elsener (Eidg. Finanzverwaltung) eröffnete mit seinem Referat «Nachhaltige Entwicklung mittels Steuerrecht» das Panel «Gesellschaft». Nachhaltige Entwicklung bedarf der Lösung des Problems kollektiver Entscheidungen (collective action), wozu staatliche Massnahmen prädestiniert sind, wenngleich im Staat selbst die Mechanismen und Anreize nicht immer perfekt funktionieren. Er führte aus, dass wegen der grundsätzlich monetären Ausrichtung der Gesellschaft Steuern sich grundsätzlich als Mittel der Operationalisierung einer nachhaltigen Entwicklung eignen. Unter den verschiedenen staatlichen Massnahmen erscheinen Lenkungsabgaben geradezu als ideales Instrument, weil der Staat hier nicht über Gebote oder Verbote in die Gesellschaft eingreift, sondern die Wirtschaft über den Preismechanismus lenkt – diese Sprache versteht die Wirtschaft. Eine Schwierigkeit sieht Marc Elsener jedoch darin – und hier greift er ein Thema von Fabian Etter auf –, dass die staatlichen Massnahmen oft nicht verstanden werden, so etwa der wichtige Aspekt, dass ⅔ der Lenkungsabgaben pro Kopf wieder zurückbezahlt werden, womit die Steuer sozial ausgewogen ist. Auf die Frage in der Diskussion, ob dies nicht Grenzen einer nachhaltigen Entwicklung aufgrund einer beschränkten Informationsfähigkeit und damit Problemlösungsfähigkeit einer Demokratie aufzeige, forderte Marc Elsener, dass gesetzliche Massnahmen einfacher gestaltet werden sollten und auch könnten, damit sie besser verstanden und umsetzbar werden.

Den Blick auf den Beitrag des Staates zu einer nachhaltigen Entwicklung erweiterte Dr. iur. Eva Maria Molinari (Universität Basel) in ihrem Referat «Wie nachhaltig ist das Sozialversicherungsrecht?». Zwar kommt der Begriff der nachhaltigen Entwicklung im Sozialversicherungsrecht praktisch nicht vor. Doch ihre Analyse zeigt, dass sich im Rahmen des Sozialstaatprinzips zahlreiche Elemente herauskristallisiert haben, die sich in der sozialen Dimension nachhaltiger Entwicklung wiederfinden. Sie untersuchte dies anhand der konkreten Bereiche des Sozialversicherungsrechts: Existenzsicherung bzw. Absicherung sozialer Risiken, Solidaritätsprinzip und Schadensbehebung vor einer Entschädigung anhand der Frage: Beschränkt sich die soziale Dimension nachhaltiger Entwicklung im Sozialversicherungsrecht auf das Soziale selbst oder zielt es auf ein umfassenderes Konzept der nachhaltigen Entwicklung? Ersteres trifft zu. Auch wenn es Wechselwirkungen mit der wirtschaftlichen Dimension nachhaltiger Entwicklung gibt, blendet das Sozialversicherungsrecht ökologische Zielsetzungen aus. Dies müsste allerdings nicht so sein, wenn man beispielsweise an die Zusammenhänge zwischen Gesundheit oder Arbeitsbedingungen und Klimaerwärmung denkt. Insofern kann der verfassungsmässige Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung Impulse für die Weiterentwicklung der Sozialversicherungen vermitteln, folgerte Eva Molinari.

Die Überleitung von eigentlichen Staatsaufgaben zum Umgang mit gesellschaftlichen Strukturen leistete Sabrina Ghielmini (Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern Kanton Bern) mit ihrem Referat «Gleichstellungsrecht: Paradoxien der Gleichstellung». Sie stellte von Anfang an klar, dass der Begriff der nachhaltigen Entwicklung im Gleichstellungsrecht, insbesondere im Gleichstellungsgesetz (GlG), nicht vorkommt. Es trägt aber dazu bei, nämlich im Sinne von SDG 5 und hier 5.1 (Beendigung von Diskriminierung) sowie 5.c (entsprechende rechtliche Durchsetzungsmechanismen). Der Beitrag ist jedoch insofern limitiert, als dass der Rechtsschutz vor Geschlechterdiskriminierung durch Private lückenhaft ist, u.a. weil der Anwendungsbereich des GlG sich auf das Erwerbsleben beschränkt. Die Erfahrung zeigt aber: Geschlechtergleichstellung kann durch Regulierung gefördert werden. Zu tun gibt es weiterhin viel, so beispielsweise im Gender Pay Gap und im Gender Pension Gap oder bezüglich des sich noch Jahrzehnte nach einer Scheidung auswirkenden Einkommensunterschieds bei Frauen. Letzterer liesse sich u.a. durch ein Steuerregime reduzieren, welches eine gleichmässige Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit begünstigt. Über den Begriff der nachhaltigen Entwicklung lässt sich Gleichstellung in verschiedenen Sektoren verwirklichen. Insgesamt zeigt sich, dass der Begriff und das verfassungsmässige Ziel einer nachhaltigen Entwicklung das Potenzial haben, immer wieder neue Kanäle – in der späteren Diskussion nannte sie dies eine Diskussionsplattform – zu seiner Verwirklichung zu öffnen.

In der anschliessenden Paneldiskussion, wiederum moderiert von Daniel Dedeyan, räumte Astrid Wüthrich (Vizedirektorin beim Bundesamt für Sozialversicherungen BSV) auf die Frage, ob die Gesetzgebungs- und die Verwaltungsprozesse im Sozialbereich überhaupt geeignet sind, um eine nachhaltige Entwicklung zu verfolgen, durchaus Dysfunktionalitäten ein. So setzen Sparpakete die Verwaltung unter Druck und setzen der Verfolgung einer nachhaltigen Entwicklung gewisse Grenzen. Den Sozialversicherungen ist die Frage der Nachhaltigkeit inhärent, zum Beispiel in Bezug auf die Finanzierung oder auf die Generationengerechtigkeit. In der Diskussion zur Frage, welchen Impact der Begriff der nachhaltigen Entwicklung etwa aus der Agenda 2030 auf die Verwaltungspraxis hat, führte Astrid Wüthrich aus, dass der Begriff in Strategien konkretisiert wird, in der Umsetzung dann aber angesichts der konkreten sozialpolitischen Herausforderungen in der Umsetzung nicht genügend Augenmerk erhält. Sie wies ausserdem darauf hin, dass auch aus sozialpolitischer Sicht systemische anstatt punktueller Herangehensweisen vermehrt an Bedeutung gewinnen und auch ein Mehr an Impact versprechen.

Aus Unternehmenssicht präsentiert sich dies ganz anders, wie Dr. oec. publ. Alain Gut (Director Public Affairs bei IBM) in der Diskussion bemerkte. Hier sind die SDGs und internationalen Standards von grosser Bedeutung bei der Ausarbeitung der internen Policies, der Governance und bei der Umsetzung. Unternehmen können sich dem kaum entziehen, da sie heute unter entsprechendem Druck ihrer Stakeholders stehen. Dem Einwand aus dem Publikum, die Unternehmen würden nur jene Massnahmen ergreifen, die nicht weh tun, und würden im Übrigen nicht zögern, auf Kosten einer nachhaltigen Entwicklung Geld zu verdienen, hielt Alain Gut entgegen, dass besonders die grossen Unternehmen es sich schlicht nicht leisten können, hier zu kneifen. Auch gibt es Themen, bei denen die Unternehmen ein ureigenes Interesse daran haben, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mitzugestalten, etwa mit Initiativen zum Einbezug von KI in der Berufsausbildung. In diesem Zusammenhang gab Alain Gut zu bedenken, dass die öffentliche Diskussion um nachhaltige Entwicklung wesentliche Tendenzen unterbeleuchtet, zum Beispiel die Auswirkungen der informationstechnologischen Veränderungen auf das Arbeitsleben oder die demographische Entwicklung, welche die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft schneller, als wir wahrhaben wollen, verändern wird.

Eva Schmassmann (Direktorin der Plattform Agenda 2030) machte geltend, dass eine nachhaltige Entwicklung gerade auch im sozialen Bereich Geld kostet und man über die Finanzierung, namentlich mittels einer Erbschaftssteuer, die von allen Steuerarten als sozial am verträglichsten erscheint, diskutieren muss. Sie gab aber auch zu bedenken, dass über das von Marc Elsener erwähnte monetäre Primat hinaus Massnahmen zu einer sozial nachhaltigen Entwicklung nicht auf Preismechanismen beschränkt bleiben sollten. Unternehmen sollten hier mehr in die Pflicht genommen werden und nicht nur Hochglanzprospekte produzieren. Das Lobbying der Unternehmen setzt der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung jedoch empfindliche Grenzen. Als Alain Gut an konkreten Beispielen zeigte, dass die grösseren Unternehmen die im Panel genannten Elemente einer sozial nachhaltigen Entwicklung mittragen, stellte sich das Podium die Frage: Wenn nicht einmal die Unternehmen dagegen sind, warum stellt sich dann das Parlament dagegen?

Der plötzliche Konsens auf dem Panel war die Überraschung des Abends.

6. Synthese

Prof. Dr. Charlotte Sieber-Gasser rundete das Symposium ab mit einem Blick auf die Synthese aus den Ergebnissen des Forschungsprojekts. So weist nachhaltige Entwicklung als Rechtsbegriff zum einen kaum Elemente auf, die sich nicht schon aus dem allgemeinen Staatsauftrag ergeben. Zum anderen fungiert sie aber gerade über das Medium des Rechts als eine Diskussionsplattform zur Verhandlung dringender gesellschaftlicher Probleme. Dies ergibt sich aus allen untersuchten Rechtsbereichen und stellt damit in Frage, ob Rechtsetzung allein über die Zielvorgabe «nachhaltige Entwicklung» den verlangten Grad an Präzision und Regelungsdichte erfüllt. Daneben hat sich in der Rechtsprechung ein justiziabler Kerngehalt des Begriffs etabliert. Der Sammelband schlägt daher vor, erstens Massnahmen in einem negativen Test daran zu messen, ob sie mit diesem Kerngehalt vereinbar sind. Zweitens ist in Rechtsetzungsverfahren die für die Umsetzung dieses Kerngehalts nötige Präzision und Regelungsdichte anzustreben.

Zum krönenden Abschluss trug Dr. iur. Christine Bühler (INTERFACE Politikstudien) ihre reichhaltigen Erkenntnisse aus dem Symposiumstag zusammen. Die angeregten Diskussionen wurden anschliessend intensiv am Apéro bis in die Nacht hinein weitergeführt.

Prof. Dr. Daniel Dedeyan, LL.M. (Yale)

Impressionen des Forschungssymposium (Flickr)

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Kalaidos Law School & ZLS Zurich Law School Nachhaltigkeitssymposium 15. November 2024
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