Cartoon-Finger die in die Luft zeigen Cartoon-Finger die in die Luft zeigen
Kann die Fingerlänge mehr als nur die geografische Richtung zeigen? (Symbolbild)

Ein alter Traum geht in Erfüllung: Anthropometrische Masse verraten Charakter und Verhalten! Wie kommen wir darauf, und stimmt dies wirklich?

Von der Fingerlänge zur Persönlichkeit

Aus unserer Anfang 2024 in der Fachzeitschrift Journal of Psychiatric Research publizierten Studie geht hervor, dass das Verhältnis zwischen dem rechten Zeige- und Ringfinger (die 2D:4D-Ratio) und psychopathologischen Verhaltensweisen wie Amphetaminabhängigkeit oder antisozialen Persönlichkeitsstörungen assoziiert sind (Hashemian et al., 2024). Und tatsächlich: Je kürzer der Zeige- im Verhältnis zum Ringfinger war (was einer tieferen 2D:4D-Ratio entspricht), desto mehr psychopathologische Züge wurden bei den Teilnehmenden beobachtet. 

Wie erklärt sich dies? In Tierversuchen und in Beobachtungen von Kindern mit spezifischen endokrinologischen Störungen (CAH: Congenital Adrenal Hyperplasia; solche Kinder schütten, vereinfacht gesagt, mehr Testosteron und weniger Östrogen aus) zeigte sich, dass eine hohe Testosteronkonzentration im embryonalen Wachstumsstadium zu kürzeren Zeige- und längeren Ringfingern führte. Die vorgeburtliche Testosteronexposition und 2D:4D-Ratios sind also verknüpft – und dies kann sich im Verhalten von Erwachsen widerspiegeln. Zum Beispiel wiesen 104 schwedische Olympiaathletinnen gegenüber 117 normal sportlichen Schwedinnen deutlich tiefere 2D:4D-Verhältnisse auf; die Athletinnen waren also im embryonalen Stadium mehr Testosteron und weniger Östrogen ausgesetzt (Eklund et al., 2020), und scheinen diesen biologischen «Vorteil» maximal und optimal genutzt und umgesetzt zu haben.

Welche Überlebensvorteile stecken dahinter?

Ist somit alles klar, und sollten wir wieder Handlesen betreiben? Das wäre ein naheliegender Schluss, doch ein solcher Schluss ist definitiv verfehlt! Wie mehrere Übersichtsarbeiten zum Thema 2D:4D-Verhältnis und Verhalten im Erwachsenenalter zeigen (Manning et al., 2014; Manning and Fink, 2018), kann eine geringere 2D:4D-ratio (und damit eine erhöhte vorgeburtliche Testosteronexposition) zwar die Wahrscheinlichkeit erhöhen, bei bestimmten Anforderungen und Druck höhere Leistungen zu erbringen. Aber es handelt sich dabei nicht um einen unverrückbaren und linearen Zusammenhang, der sich immer einstellt. Oder noch einfacher formuliert: Gute physiologische und biologische Voraussetzungen werden nicht zwingend in bessere Leistung im Erwachsenenalter umgemünzt.

Aber weshalb sollten nun Personen mit Amphetaminabhängigkeit und antisozialer Persönlichkeitsstörung vorgeburtlich mehr Testosteron ausgesetzt gewesen sein? Einen Hinweis darauf liefert die evolutionäre Psychologie: Das Modell der fast life history (Marchegiani et al., 2018) besagt, dass ein Verhalten des raschen und unmittelbaren Ressourcenerwerbs und der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung gewisse Überlebensvorteile bietet; dies jedoch auf Kosten der längerfristigen Gesundheit und der sozialen Integration – ein Lebensstil, wie er typisch ist für Amphetaminabhängige und Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung.

Fazit

Dann ist also unser Verhalten genetisch bedingt und vorgeburtlich festgelegt? Nein! Das zeigen auch andere der über tausend jährlich zum Thema 2D:4D-Ratio publizierten Arbeiten (Smoliga et al., 2021). Ja, wir haben genetisch bedingte Prädispositionen. Aber es liegt sehr weitgehend in unseren Händen, was wir daraus machen.  

Quellen und weiterführende Informationen

Eklund, E., Ekström, L., Thörngren, J.O., Ericsson, M., Berglund, B., Hirschberg, A.L., 2020. Digit Ratio (2D:4D) and Physical Performance in Female Olympic Athletes. Front Endocrinol (Lausanne) 11, 292.

Hashemian, S.S., Golshani, S., Firoozabadi, K., Firoozabadi, A., Fichter, C., Dürsteler, K.M., Brühl, A.B., Khazaie, H., Brand, S., 2024. 2D:4D-ratios among individuals with amphetamine use disorder, antisocial personality disorder and with both amphetamine use disorder and antisocial personality disorder. J Psychiatr Res 170, 81-89.

Manning, J., Kilduff, L., Cook, C., Crewther, B., Fink, B., 2014. Digit Ratio (2D:4D): A Biomarker for Prenatal Sex Steroids and Adult Sex Steroids in Challenge Situations. Front Endocrinol (Lausanne) 5, 9.

Manning, J.T., Fink, B., 2018. Digit ratio and personality and individual differences, in: Zeigler-Hill, V., Shackelford, T.K. (Eds.), The SAGE Handbook of personality and individual differences. SAGE, London UK.

Marchegiani, V., Zampieri, F., Della Barbera, M., Troisi, A., 2018. Gender differences in the interrelations between digit ratio, psychopathic traits and life history strategies. Personality and Individual Differences 135, 108-112.

Autor/in
Serge Brand

Prof. Dr. Serge Brand

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