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Einführung des Nachlassverfahrens ins Schweizerische Zwangsvollstreckungsrecht (Symbolbild)

In diesem ersten und im folgenden zweiten Beitrag werden die historischen Hintergründe des Nachlassverfahrens und seine Entwicklung innerhalb des Zwangsvollstreckungsrechts beleuchtet. Nicht behandelt werden die besonderen Regeln über die Zwangsvollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften oder gegen Banken.

Das SchKG ist Zwangsvollstreckungsrecht. Auch gegen seinen Willen wird einem Schuldner sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und verwertet; der Erlös aus der Verwertung wird seinen Gläubigern verteilt. Staatliche Organe – Betreibungsbeamte, Konkursbeamte, Konkursverwaltungen – werden dabei tätig. Ob der Schuldner mit ihrem Vorgehen einverstanden ist, ist nicht relevant, die staatlichen Organe gehen auch ohne sein Einverständnis vor.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Nachlassverfahren nach den Artikeln 293 ff SchKG wie ein Fremdkörper: Das Vermögen des Schuldners wird zunächst vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt, dann wird ihm Gelegenheit gegeben, sich mit einem Nachlass-«Vertrag» mit diesen zu einigen. Je nachdem, was er mit seinen Gläubigern «vereinbart» hat, wird das Unternehmen des Schuldners weitergeführt oder es wird ganz oder teilweise liquidiert-Wird es liquidiert, dann verzichten die Gläubiger darauf, den Schuldner später wieder in Haftung nehmen zu können, denn Verlustscheine werden nicht ausgestellt. Das passt nicht ins Zwangsvollstreckungsrecht und es lohnt sich daher, das Nachlassvertragsrecht zu durchleuchten.

Die Einführung des Nachlassverfahrens ins Schweizerische Zwangsvollstreckungsrecht

Die wichtigste Kodifikation des schweizerischen Zwangsvollstreckungsrechts ist das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) vom 11. April 1889 (SR 281.1.). Bei seinem Erlass fehlte das in Klammer dazugesetzte Kürzel «SchKG»; es wurde erst mit der am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Revision in den Titel des Gesetzes übernommen (SR 281.1., Verweis unter Ziffer 1), nachdem sich die Abkürzung über beinahe hundert Jahre eingebürgert hatte.

Das Gesetz beruht auf einem Vorschlag des Bundesrates vom 6. April 1886 (BBl 1886 II 1). In seiner Botschaft an das Parlament schlug der Bundesrat vor, in den Art. 19 ff. des Gesetzestextes ein «Konkordat» vorzusehen. In der Botschaft erläuterte der Bundesrat die Herkunft der «gesetzgeberischen Neuerung» (Botschaft vom 6. April 1886, BBl 1886 II 1, Seite 56) wie folgt: «Nach dem Vorgange des Genfer Gesetzes "sur les concordats amiables", vom 7. Juli 1877, welches durch das Gesetz "sur les sursis concordataires", vom 2. Oktober 1880, ersetzt worden ist, und mit Zuratheziehung des belgischen Gesetzes "sur le concordat préventif de la faillite", vom 20. Juni 1883, haben wir versucht, ein Institut, im deutschen und französischen Texte gleichlautend "Konkordat" benannt, in das Gesetz einzufügen, das in dieser Gestalt als eine gesetzgeberische Neuerung erscheint.» (Botschaft vom 6. April 1886, BBl 1886 II 1, Seite 54 ff.).

In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, dass sowohl in der deutschen als auch in der französischen Fassung des Gesetzes von «Konkordat» bzw. «concordat» die Rede war. Für einen Vertrag wird in der französischen Rechtssprache das Wort «contrat» verwendet (vgl. französische Fassung von Art. 1 OR, SR 220). Diese sprachliche Feinheit wurde für die deutsche Fassung des Gesetzestextes entgegen dem Antrag des Bundesrates aufgegeben; im schliesslich beschlossenen deutschen Gesetzestext war stets von einem «Nachlassvertrag» die Rede (Text des beschlossenen Gesetzes, 11. Titel, sowie Art. 293 ff SchKG / BBl 1989 II 445 ff). Erst seit dem 1. Januar 1997 ist das Wort «Vertrag» aus dem 11. Titel des SchKG eliminiert worden. Es findet sich aber auch in der aktuell geltenden Fassung noch immer in den Artikeln 305 ff. SchKG, obwohl bei genauerer Prüfung von einem Vertrag im Sinne von Art. 1 OR nicht die Rede sein kann. Am Anfang des auch heute noch gelegentlich anzutreffenden Irrtums, beim «Nachlassvertrag nach dem SchKG» handle es sich um einen Vertrag, dürfte demnach die ungenaue Übersetzung des französischen Rechtsbegriffs «concordat» stehen, die der Bundesrat mit seinem Vorschlag vermeiden wollte.

Dass es Meinungsverschiedenheiten auch in Bezug auf die Übernahme von Begriffen aus der französischen Rechtssprache im Rahmen der Beratungen des Vorschlages des Bundesrates zum SchKG gab, gab der Bundesrat in seiner Botschaft zur definitiven Fassung des Entwurfs zum SchKG vom 7. Dezember 1888 zu (Botschaft vom 7. Dezember 1888, BBl 1988 IV 1137 ff., Seite 1141, indem er ausführte: «Von den einzelnen Artikeln des Entwurfes sind ursprünglich die einen deutsch, die andern französisch verfaßt worden. Die im Laufe der Verhandlungen beschlossenen Abänderungen brachten in Hinsicht auf die Form sehr verschiedenartige neue Elemente hinzu, welche bald in der einen, bald in der andern Sprache ihren Ursprung hatten. Die meist improvisirten Uebersetzungen konnten weder auf getreue Wiedergabe des Sinnes, noch auf Vollkommenheit der Form Anspruch erheben. Die beiden Sprachen mußten unter solchen Umständen gewissermaßen auf einander abfärben und durch ihre Wechselwirkung einen unreinen Stil erzeugen, (…).» (BBl 1988 IV 1137 ff. auf Seite 1141). Die Übersetzung des Begriffs «concordat» aus der französischen Rechtssprache mit «Nachlassvertrag» im SchKG ist denn auch tatsächlich misslungen und bildet noch heute die Grundlage vieler Irrtümer über die Rechtsnatur des «Nachlassvertrags» nach dem SchKG.

Für das dem Genfer Recht nachgebildete, ins SchKG aufgenommene «Konkordat» war typisch, dass eine Vereinbarung zwischen dem Schuldner und einer im Gesetz festgelegten Mehrheit seiner Gläubiger durch Gerichtsbeschluss genehmigt werden musste, womit der Beschluss dann für alle Gläubiger als verbindlich erklärt werden konnte - auch für jene, die nicht zustimmten. Dagegen bestimmte das OR von 1881 (BBl 1881 III 109) wie auch das heute geltende Obligationenrecht (SR 220) in ihrem jeweiligen Artikel 1 gleichlautend, zum Abschluss eines Vertrages sei die gegenseitig übereinstimmende Willensäusserung der Parteien erforderlich. Der Unterschied zum genehmigungspflichtigen, aber auch für die nicht zustimmenden Gläubiger verbindlichen Konkordat wird deutlich. Wie irreführend der Begriff «Nachlassvertrag» in der deutschen Fassung des SchKG ist, ist kaum zu übersehen.

Das Gesetz war im Übrigen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf vollständig neu gegliedert worden; der «Nachlassvertrag» wurde im überarbeiteten Entwurf in einem elften Titel ganz am Schluss in die Artikeln 293 – 317 aufgenommen (Botschaft vom 7. Dezember 1888, BBl 1988 IV 1137, Seite 1229).

Der Anwendungsbereich des Nachlassverfahrens im Schweizerischen Zwangsvollstreckungsrecht

Der Anwendungsbereich des Nachlassvertrags war schon der ursprünglichen Idee nach weit gefasst. Die erste Botschaft des Bundesrates vom 6. April 1886 hält dazu fest:

«In Abweichung von den französischen und deutschen und den diesen nachgebildeten Gesetzgebungen, welchen das Konkordat (Zwangsvergleich, Zwangserlaß, Nachlaßvertrag, Akkord) als Mittel zur Beendigung des Konkurses dient, bezwecken das Genfer und das belgische Gesetz die Abwendung des Konkurses durch gerichtliche Gewährung von Stundungsfristen und darauf folgende gerichtliche Bestätigung eines mit gesetzlicher Stimmenzahl der Gläubiger abgeschlossenen Konkordates. In Genf, wie in Belgien und ebenso im Kanton Neuenburg, wo ein Gesetz vom 20. November 1885 betreffend Stundungsfristen zum Zwecke der Herbeiführung eines Konkordats neuerlich in Kraft getreten ist, hat sich der Gesetzgeber von dem Gedanken leiten lassen, daß die Einführung eines dem Konkurse vorbeugenden Rechtsmittels im Interesse der Gläubiger und der ehrlichen, gutgläubigen, aber bedrängten Schuldner zugleich liege. (…)

Das belgische Gesetz sagt in Art. 2, Abs. 3 geradezu: „Die Bestätigung (des Konkordates) darf nur zu Gunsten eines unglücklichen und gutgläubigen Schuldners ausgesprochen werden. In Genf wurde in den bezüglichen Kommissionsberichten und Großrathsverhandlungen von 1877 und 1880 ebenfalls die Rücksichtnahme auf den ehrenwerthen, durch Unglücksfälle in Bedrängniß gerathenen Handelsmann betont, dem das Gesetz ermöglichen solle, sich mit seinen Gläubigern zu vergleichen, ohne durch die Konkurseröffnung (déclaration de faillite) entehrt zu werden; es wurde aber auch hervorgehoben, daß nach Eröffnung des Konkurses das Zustandekommen eines Konkordates weit schwieriger sei und, wenn ein solches zu Stande komme, dessen Erfüllung und die Fortsetzung wirthschaftlicher Thätigkeit dem Schuldner ungleich schwerer fallen, als vorher. Denn die Eröffnung des Konkurses bringe eine verderbliche Störung in den Geschäftsbetrieb, ziehe eine Entwerthung der Aktiven nach sich und benehme dem Kaufmann in den meisten Fällen die Lust zu weiterem Schaffen.» (Botschaft 1886, BBl 1886 II 1).

Art. 306 SchKG des schliesslich beschlossenen Gesetzes machte deshalb die Bestätigung eines von den Gläubigern angenommenen Nachlassvertrages davon abhängig, dass der Schuldner nicht zum Nachteil der Gläubiger unredliche oder sehr leichtfertige Handlungen vorgenommen hatte und die angebotene Summe in richtigem Verhältnis zu den «Hülfsmitteln des Schuldners» stehe (Text des beschlossenen Gesetzes, Art. 306 SchKG / BBl 1889 II 445).

In Art. 317 des Gesetzes wurde schliesslich klargestellt, dass auch im Konkursverfahren die Möglichkeit eines Nachlassvertrages offenstand (Text des beschlossenen Gesetzes, Art. 306 SchKG / BBl 1889 II 445 ff, Seite 528).

Weitere Voraussetzungen auf der Seite des Schuldners gab es nicht. Die Möglichkeit eines Nachlassvertrages wurde allen Schuldnern geöffnet. Die Botschaft bestätigt das:

«Der Entwurf eröffnet jedem Schuldner, unterliege er der Betreibung auf Konkurs oder der Betreibung auf Pfändung, die Möglichkeit, jederzeit eine gerichtliche Stundung zu erlangen und während der ihm gewährten Frist von höchstens 6 Monaten unter der Aufsicht und Leitung eines Kommissärs den Abschluß eines Konkordates zu erwirken. Ein in Konkurs gefallener Schuldner indeß kann erst der auf die Prüfung der Konkurseingabe folgenden Gläubigerversammlung einen Konkordatsvorschlag unterbreiten.» (Botschaft 1886, BBl 1886 II 1 Seite 56).

Den Grundgedanken des Nachlassvertrags fasste die Botschaft wie folgt zusammen:

«… es soll durch das Gesetz dem bedrängten, ehrlichen Bürger die in der Einrichtung des Konkordates liegende Rechtshülfe schon vor der Auspfändung und dem Konkurs gewährt werden und nicht erst, wann die Katastrophe eingetreten ist.» (Botschaft 1886, BBl 1886 II 1 Seite 56).

Im zweiten Teil des Beitrags erfahren Sie mehr zur Weiterentwicklung des Nachlassverfahrens.

Autor/in
Thomas Gattlen

Dr. iur. RA Thomas Gattlen

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Recht
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CAS FH in Paralegal

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