Figur einer Frau gemalt in einem Fresko in einem Domus von Pompeji Figur einer Frau gemalt in einem Fresko in einem Domus von Pompeji
Ein Rechtsstreit in Bezug auf ein fingiertes Rechtsgeschäft in der späten römischen Republik (Symbolbild)

Der Fall

Valerius Maximus in seinen unter Kaiser Tiberius geschriebenen Neun Bücher erinnernswerter Taten und Ansprüchen erwähnte einen Rechtsstreit, der sich circa 66 v.Chr. in Rom abspielte. Beteiligt daran waren Otacilia, die Frau des Juventius Laterensis, und Gaius Visellius Varro. Der Richter war Gaius Aquilius Gallus, einer der grössten Juristen seiner Zeit. Die Klägerin forderte Rückgabe von 300'000 Sesterzen, die sie dem Beklagten vermeintlich geliehen habe. Die Streitsumme war sehr hoch: Zum Vergleich dazu betrug noch unter Augustus ein jährliches Legionärssold 900 Sesterzen.

Obwohl der Fall lediglich Rückgabe eines Darlehens zu betreffen schien, war das Verhältnis zwischen den Streitparteien eher komplex. Der Beklagte, Varro, und die Klägerin, Otacilia haben nämlich seit längerer Zeit eine extraeheliche Beziehung gepflegt. Obwohl Ehebruch erst unter Kaiser Augustus als Straftat des öffentlichen Rechts gesetzlich geregelt wird, war er schon während der Republik pönalisiert. Als Varro schwer krank und dem Tod nahe war, wollte er der Geliebten ein Vermächtnis hinterlassen. Um ihre unerlaubte Beziehung aber nicht preiszugeben, wollte er sie nicht direkt im Testament bedenken, stattdessen erlaubte er ihr in ihrem Hausbuch eine Auszahlung von 300'000 Sesterzen zu seinen Gunsten einzutragen. Die Absicht war, dass Otacilia, nach seinem Tod, den Betrag von seinen Erben fordern kann. Als sich Varro trotz schlechter Prognose erholte, beklagte die vom Verlauf der Ereignisse enttäuschte Otacilia, ihn mit der Kondiktion zur Rückgabe der angeblichen Schuld. Als Grundlage ihrer Klage nutzte sie den Eintrag in ihrem Hausbuch, dem sogenannten codex accepti et expensi.

Römische Hausbücher

Ein Hausbuch diente in Rom dem Gesamtvermögensverzeichnis und umfasste alle Einkommen, Ausgaben, Förderungen und Schulden in chronologischer Folge. Ein solches führte jeder Römer, der nicht mehr unter väterlicher Gewalt stand, und jede Römerin, die weder väterlicher noch ehelicher Gewalt unterworfen war. Daraus folgt, dass Otacilia, obwohl verheiratet, der ehelichen Gewalt des Juventius Laterensis nicht unterlag und eigenes Vermögen verwaltete, was zu dieser Zeit in Rom keine Seltenheit war. Es gab zwei Arten der Einträge von Forderungen (nomina) in den Hausbüchern. Die ersteren, nomina arcaria, dienten zur Registrierung von erfolgten Auszahlungen. In solchen Fällen hatte der Eintrag lediglich eine deklaratorische Wirkung, während die Obligation auf der Auszahlung beruhte. Die zweiten, nomina transcripticia, dienten der Konstitution von Schuldverpflichtungen, und stellten eine Sonderart des Vertrags, nämlich den Litteralvertrag, dar. In diesem zweiten Fall machte der Gläubiger in seinem Hausbuch einen Eintrag, der eine fiktive Auszahlung bescheinigte. Durch eine solche Buchung ohne Zahlung entstand eine Buchforderung. Obwohl kein entsprechender Eintrag im Hausbuch des Schuldners erforderlich war, war eine Buchforderung nur mit Zustimmung des Schuldners wirksam, die durch einen Zeugen bewiesen oder in einem privaten Schreiben bestätigt werden konnte. Eine Buchforderung funktionierte also wie heutzutage der Schuldschein: der Ersteller ist verpflichtet dem Gläubiger die im Schein erwähnte Summe entweder auf Anfrage oder an einem bestimmten Termin zu übertragen.

Das Urteil

Otacilia hatte also in ihrem Hausbuch wahrscheinlich einen Eintrag der zweiten Art zu Lasten von Varro und mit seiner Zustimmung gemacht, sonst hätte sie den Erben die erfolgte Auszahlung beweisen können müssen. Ein solcher Eintrag begründete den Anspruch auf eine Kondiktion zur Rückzahlung der geschuldeten Geldsumme (condictio certae creditae pecuniae). Die Chancen standen gegen Varro, weil eine solche Klage zu einem sogenannten Urteil des strengen Rechts führte. Sie gab dem Richter die Kompetenz zu entscheiden, ob Varro den genannten Betrag schuldet oder nicht, ohne zu befinden, ob die Parteien nach gutem Glauben handelten. Nichtdestotrotz wurde die Anklage der Otacilia abgelehnt. Dem Aquilius Gallus, der den Fall zu entscheiden hatte, schreibt Cicero (De off. 3.60) die Entwicklung der Arglisteinrede zu. Es ist daher wahrscheinlich, dass sich die Verteidigung von Varro auf diese Einrede stützte.

Quellen:

Gaius, Institutiones, 3.128-133
Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia, 8.2.2
Detlef Liebs, Vor den Richtern Roms. Berühmte Prozesse der Antike, München 2007
Ralf M. Thilo, Der Codex accepti et expensi im Römischen Recht: Ein Beitrag zur Lehre von der Litteralobligation (Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte), Göttingen 1980

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