Prof. Dr. Waldmar Pelz:  Zitat zur Resilienz Prof. Dr. Waldmar Pelz:  Zitat zur Resilienz
Dozent im CAS FH Führungs- und Personalpsychologie sowie Geschäftsführer des Instituts für Management-Innovation in Bad Soden am Taunus (Bild: Kalaidos FH)

Resilienz hilft, Herausforderungen und Krisen zu meistern. Sie ist eine wichtige Kompetenz, insbesondere für Führungskräfte, denn diese werden an ihrem wirtschaftlichen Erfolg gemessen. Resilienz wird aus zwei Gründen immer wichtiger. Zum einen sind die häufigsten Ursachen für krankheitsbedingte Arbeitsausfälle psychische Faktoren, die meistens durch Stress verursacht werden. Zum anderen zeigen empirische Studien, dass ein positives Arbeitsklima den grössten Einfluss auf die Produktivität hat. Das sagt Herr Prof. Dr. Waldemar Pelz, Dozent im CAS FH in Führungs- und Personalpsychologie und Geschäftsführer des Instituts für Management-Innovation in Bad Soden am Taunus. Im folgenden Interview erläutert er, was Resilienz ausmacht, wie Führungspersonen Defizite im Team ausgleichen können und wie man die Resilienz in Unternehmen valide messen (diagnostizieren) und trainieren kann.

Waldemar, du hast neben anderen Führungskompetenzen auch die Resilienz erforscht. Was versteht man genau unter Resilienz?

Für Resilienz gibt es so viele Definitionen wie Autoren und Autorinnen. Es herrscht eine babylonische Sprachverwirrung. Deshalb haben wir mit unserer Studie rund 4'000 Fach- und Führungskräfte befragt, um eine möglichst konsensfähige, praxisrelevante Definition zu entwickeln. Demnach ist Resilienz eine Fähigkeit (Kompetenz), die uns einerseits vor belastendem Stress schützt und andererseits Energie, Tatkraft und Lebensfreude liefert. Sie besteht aus acht Teilkompetenzen (Resilienzfaktoren), die uns helfen, emotionale und mentale (gedankliche) Belastungen (Stress) zu überwinden, ohne darunter zu leiden. Zur Resilienz gehört auch die Bewältigung sachlicher Probleme, die emotionale Belastungen verursachen. Beispiel: In einem Fall hat eine Mitarbeiterin, die unter ihrem dominanten Chef litt, diesem durch einen so genannten Headhunter zu einem neuen Job verholfen. Die emotionale Belastung war sofort verschwunden.

Ist Resilienz angeboren oder kann man diese Fähigkeit erwerben bzw. entwickeln?

Entgegen verbreiteter Meinung ist es nicht so, dass Menschen mehr oder weniger resilient sind! Bei der Resilienz muss man immer die konkrete Stressursache berücksichtigen. Die gleiche Stressursache wie beispielsweise eine Reorganisation kann für einen Menschen eine anregende, interessante Herausforderung sein, während sie für einen anderen ein unlösbares Problem darstellt. Das bedeutet, dass zu jeder Stressursache eine bestimmte Fähigkeit notwendig ist, um diese Ursache zu überwinden. Manche dieser Fähigkeiten kann man erlernen und trainieren, während andere in der Persönlichkeit verankert und somit kaum oder gar nicht erlernbar sind. Mit anderen Worten: Jeder Mensch hat ein einzigartiges individuelles Stärken-Schwächen-Profil, mit dem er seine Belastungen überwinden kann.

Kannst du Beispiele für typische Belastungen in der Arbeitswelt nennen?

Ja, typische Beispiele sind:

  1. Erwartungsdruck mit Arbeitsüberlastung bei knapper Zeit
  2. soziale Überlastung durch Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen sowie Unzufriedenheit bei «ungerechter» Bezahlung trotz hoher Verantwortung
  3. Mangel an Anerkennung und Wertschätzung trotz grosser Anstrengung
  4. Unzufriedenheit durch Aufgaben, die keine Freude bereiten, keinen erkennbaren Sinn haben und den persönlichen Werten widersprechen
  5. Ängste und Sorgen um die Zukunft oder um die Gesundheit bis hin zur puren Existenzangst

Aus der Erfahrung an unserem Institut wissen wir, dass es den meisten Menschen jedoch schwerfällt, die konkrete Ursache ihrer Belastung zu benennen. Viele klagen zum Beispiel über Leistungsdruck, in Wirklichkeit handelt es sich aber um eine soziale Überlastung. Aus diesem Grund sollte die Arbeit an der eigenen Resilienz immer mit einer validen Diagnose der konkreten Stressursachen (Stress-Test) beginnen. Erst danach kann man nach den notwendigen Fähigkeiten fragen.

Wodurch zeichnen sich resiliente Menschen aus?

Unser Forschungsprojekt hat ergeben, dass es acht Teilkompetenzen der Resilienz gibt (Resilienzfaktoren). Und jede dieser Kompetenzen muss zur Stressursache wie der Schlüssel zum Schlüsselloch passen. Das ist wie in der Medizin: Ein Arzt muss die Ursache einer Erkrankung zuverlässig (valide) diagnostizieren, um eine erfolgversprechende Therapie wählen zu können. In unserer Studie gab es keine Teilnehmende, die alle acht Teilkompetenzen entweder perfekt oder gar nicht beherrscht haben. Jeder hat ein individuelles Stärken-Schwächen-Profil. Dieses muss man kennen, wenn es darum geht, die Resilienz gezielt und wirksam zu stärken.

Bei vier der acht Teilkompetenzen handelt es sich um Fähigkeiten, die man mit Übung und Training relativ einfach erlernen oder verbessern kann. Dazu gehören: (1) Fokussierung auf das Wesentliche (ohne sich zu verzetteln), (2) Stimmungsmanagement, mit dem man sich selbst und andere in eine positive Stimmung versetzt und emotionale Belastungen überwindet (statt zu grübeln, andere zu beschuldigen, oder in Selbstvorwürfen zu versinken), (3) Selbstwirksamkeit als Vertrauen auf die eigenen Stärken und Fähigkeiten, mit denen man sich Wertschätzung und Anerkennung erarbeitet. Hinzu kommt als vierte Kompetenz die Selbstdisziplin, die nicht durch Zwang entsteht, sondern durch den Sinn der eignen Arbeit. Dieser Sinn wiegt mehr als «nur» Geld, Macht, Image oder Pflichterfüllung.

Die anderen vier Teilkompetenzen (Resilienzfaktoren) sind in der Persönlichkeit begründet. Darunter versteht man angeborene oder in der frühen Kindheit erworbene Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, die nur schwer oder gar nicht veränderbar sind. Beispiele sind optimistischer Ehrgeiz, gestaltende Kreativität, praktische, mentale oder emotionale Intelligenz sowie innere Stärke, die ihre Kraft aus tief verwurzelten, religiösen, kulturellen oder ethischen Werten schöpft.

Wie kann man feststellen, wie es um die eigene Resilienz steht?

Dazu haben wir an unserem Institut ein Programm entwickelt. Der Ablauf ist wie folgt: (1) Wir beginnen mit einer (validen) Diagnose der wichtigsten Stressursachen (mit dem oben genannten Test). (2) Darauf folgt eine Analyse der Teilkompetenzen der Resilienz, die die grösste Wirkung versprechen. (3) In Fällen, in denen der Stress in der Persönlichkeit begründet ist, ist eine Veränderung der Aufgaben oder des Umfeldes wirksamer als ein Training oder Coaching. Auf jeden Fall ist es wichtig zu erkennen, dass eine Person manche Dinge nicht oder nur sehr schwer erlernen oder verändern kann. (4) Besonders wichtig ist die Erstellung eines individuellen Stärken-Schwächen-Profils mit dem oben genannten Resilienztest. (5) Die Stärken und Schwächen gelten für eine bestimmte (stressbedingte) Situation. Verändert sich diese, werden andere Stärken und Schwächen relevant. So wird bei Leistungsdruck eher die Selbstwirksamkeit helfen, während bei sozialer Überlastung ein Stimmungsmanagement hilfreicher sein dürfte. (6) Ein weiteres Ziel des Programms ist es, negativen (belastenden) in positiven Stress umzuwandeln; dieser liefert Lebensfreude, Tatkraft und Energie. (7) Darauf folgt ein persönlicher Entwicklungsplan mit konkreten Massnahmen und anschliessender Erfolgskontrolle durch Wiederholung des Tests oder durch ein Verhaltensinterview.

Wie können Führungspersonen Resilienzfaktoren gezielt einsetzen, um Stress im Team zu bekämpfen?

Am besten ist es, wenn eine Führungsperson ihre eigenen Stärken und Schwächen und die ihrer Teammitglieder kennt. So kann man am besten beurteilen, inwiefern eine Stärke geeignet ist, die bestimmte Stressursache zu überwinden. Dazu sollten alle Betroffenen neben dem oben genannten Stress-Test auch den Resilienz-Test machen. Dazu ein Beispiel: Eine Mitarbeiterin in der Pflege fühlte sich am Rande der Erschöpfung wegen einer extrem hohen Arbeitsbelastung durch viele Verpflichtungen mit Termindruck bei hoher Verantwortung. Sie hatte darauf gehofft, dass ihre Anstrengung durch Lob und Anerkennung oder Wertschätzung honoriert wird. Diese Hoffnung erwies sich als unrealistisch. Die Chefin hatte zunächst überlegt, wie sie ihre Mitarbeiterin loben und anerkennen kann, kam dann aber auf eine bessere Lösung: Über Ihre Vorbildfunktion hat sie darauf hingewirkt, dass die Mitarbeiterin sich Wertschätzung und Anerkennung selbst erarbeitet. Dies ist wesentlich wirksamer als ein Lob von aussen, dessen Wirkung ohnehin relativ schnell verpufft. Die Strategie der Chefin war erfolgreich, weil sie auf die innere Stärke und Selbstwirksamkeit ihrer Mitarbeiterin bauen konnte. Hätten ihr diese Kompetenzen gefehlt, hätte sie ihre Mitarbeiterin in ein Team integrieren können, in dem die anderen Mitglieder über diese Stärken verfugen und von denen sie lernen kann.

Eine Führungsperson hat beispielsweise Defizite bezüglich des Resilienzfaktors «Zielorientierung». Wäre es eine Lösung, diese Kompetenz an ihre Teammitglieder zu delegieren?

Zielorientierung bedeutet, dass sowohl Führungspersonen als auch ihre Teammitglieder attraktive, realistische und motivierende Ziele haben. Nur so können Erfolgserlebnisse entstehen, die stolz machen und bessere Leistungen anregen. Ohne Ziele verhält sich eine Organisation wie ein Schiff ohne Kompass; jeder «wurstelt» einsam vor sich hin (in seiner Komfortzone). Frustration, ein negatives Arbeitsklima und destruktive Konflikte sind eine nahezu zwangsläufige Folge. Dieses Problem ist nach unserer Erfahrung in der Praxis weit verbreitet. Den grössten Fehler, den viele Unternehmen bei der «Lösung» machen, besteht darin, dass sie Ziele in Form von Kennzahlen (Rendite, Umsatzwachstum oder Unternehmenswert) nach unten delegieren und Druck erzeugen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden. Damit wird die Situation verschlimmert, weil wirtschaftliche Ziele das Resultat guter Unternehmensführung sind – und nicht umgekehrt. Ironischerweise hört man von schlecht geführten Organisationen die grössten Klagen über den Mangel an Fachkräften. Im Falle eines Unternehmens wurden mit dem Resilienz-Test Führungskräfte identifiziert, die eine Stärke bei dieser Kompetenz (Zielorientierung) hatten, und diese mit Veränderungsprojekten betraut. Dies war der Startschuss für einen Wandel.

Wie können Unternehmen die Resilienz ihrer Belegschaft positiv beeinflussen?

Für Unternehmen ist es besonders wichtig, zwischen erlernbaren Teilkompetenzen und stabilen, kaum veränderbaren Persönlichkeitsmerkmalen der Resilienz zu unterscheiden. Die Persönlichkeitsmerkmale sollten ein Kriterium bei der Auswahl, Einstellung und Entwicklung von Potenzialträgern sein. Die Kompetenzen kann man später trainieren. Die Unternehmensleitung trägt die Verantwortung für die Leistungsfähigkeit und Produktivität der Belegschaft. Zu dieser Verantwortung gehört auch die Zuordnung von Aufgaben zu mehr oder weniger resilienten Personen (Organisation). Sie kann ausserdem die Belastungen beeinflussen, die durch schlechte Führung, ungünstige Arbeitsplatzgestaltung, ineffiziente Prozesse oder eine aggressive Unternehmenskultur entstehen. Zu Verantwortung der Geschäftsführung gehört aus pragmatischen und ethischen Gründen nicht die Beeinflussung der Persönlichkeit oder die Therapie von psychischen Störungen durch Hobbypsychologen aus dem Kreis von Führungskräften, Beratern, Trainern oder Mitgliedern der Personalabteilung.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Bist du im Beruf schon mal an deine eigenen Grenzen gestossen und wie hast du gelernt, deine Resilienz weiterzuentwickeln?

Ich war sechs Jahre lang als Unternehmer und acht Jahre als Führungskraft in einem internationalen Chemie- und Pharmaunternehmen tätig. Dabei habe ich viele Fehler gemacht und daraus gelernt. Die grösste Herausforderung war aber ein unerwarteter Todesfall im engen Familienkreis. Rückblickend kann ich sagen, dass der Umgang mit vielen verschiedenen Stressarten die Resilienz verbessert, sofern man darüber selbstkritisch reflektiert. Am meisten geholfen hat mir die Fokussierung auf das Wesentliche (die Besinnung darauf, was wirklich wichtig ist), die Entwicklung einer langfristigen Zielsetzung und eine vorausschauende Planung, die den Umgang mit Rückschlägen berücksichtigt. Dies nennt man mentales Training. Körper und Psyche können grundsätzlich alle Probleme lösen, wenn man sich in den zukünftigen Zustand hineinversetzt, in dem das Problem bereits gelöst ist. Ausserdem habe ich immer dort Hilfe von Freunden oder Experten angefordert, wo meine Schwächen lagen, und mir gleichzeitig meine Stärken bewusst gemacht.

Lieber Waldemar, herzlichen Dank für das Interview.

Autor/in
Irene-Willi

Irene Willi Kägi

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Prof. Dr. Waldemar Pelz

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