Fragezeichen mit binärem Code Fragezeichen mit binärem Code
Eine Entwirrung der Begrifflichkeiten rund um die Digitalisierung (Symbolbild)

Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Musik auf einer Schallplatte gehört? Die Chancen stehen gut, dass dies bereits eine Weile her ist. Oder vielleicht haben Sie auch noch gar nie zum Plattenspieler gegriffen. Selbst DJs in den Clubs benutzen sie heute nicht mehr, obschon die Schallplatten und das "Scratchen" zu ihren Markenzeichen gehören. Wann haben Sie denn das letzte Mal eine CD benutzt, um Musik zu hören? Auch das ist bei vielen wohl schon eine Zeit her, es sei denn, man fährt eines der älteren Autos, die uns noch über einen CD-Player unterhalten. Genau dieser Sprung vom Plattenspieler zum CD-Player ist ein klassischer Fall der Digitalisierung, denn das Audiosignal liegt uns in der Schallplatte noch in analoger Form vor, doch auf der CD ist sie digital abgespeichert.

Wie die Digitalisierung das Musikgeschäft komplett umgekrempelt hat

Aber wie hören Sie denn heute Ihre Musik? Die meisten werden diese Frage bestimmt mit dem Rückgriff auf moderne Streaming-Anbieter beantworten: via Spotify, Apple Music, Tidal, Deezer, SoundCloud oder YouTube. Hier zeigt sich bereits, dass die Digitalisierung das Musikgeschäft grundlegender umkrempelt, als man dies zuerst erträumt hätte. Es geht nicht mehr nur um das effizientere Abspeichern der Musik, sondern auf einmal kann man auch ganz anders darauf zugreifen. Indem die Inhalte nun über das Internet auf einer Cloud abgespeichert werden (das geht nur, wenn die Daten zuerst "digitisiert" werden), können wir mit unserem Handy, Tablet, Computer oder unserem Auto von nahezu überall Songs unserer Wahl anhören. Keine Schallplatten, keine Floppi-Discs, keine CDs mehr. Intuitiv fühlt es sich so an, als ob die Lieder über die Luft zu uns gelangen.

Damit hat sich das Musikgeschäft grundlegend transformiert: Es wurden neue Geschäftsmodelle entwickelt, die Einkommensquellen wurden verlagert (das Geld wird heute primär mit den Konzerten und nicht mehr mit den Tonträgern generiert), das Tempo der Musikproduktion wurde erhöht, viele Instrumente werden nur noch programmiert und nicht mehr eingespielt, aber auch die Bedürfnisse der Zuhörer/innen sind nicht mehr die Gleichen (ein Song über drei Minuten wird seltener angeklickt und gilt nicht mehr als "radiogen"). All dies macht deutlich: Aufgrund der Digitalisierung wird die Musikindustrie nie mehr dieselbe sein.

Etwas Licht im digitalen Handgemenge

Die grossflächigen Veränderungen der Musikbranche sind nur ein Beispiel von Unzähligen. Wenn ich Sie fragen würde, wie digitale Anwendungen Ihr persönliches und berufliches Leben prägen, hätten Sie sicherlich eine Menge Geschichten zu erzählen. In dieser "digitalen Welt", wie man sie hin und wieder bezeichnet (Glover et al., 2022; Kickbusch et al., 2021; Volberda et al., 2021), tauchen viele neue Chancen und Möglichkeiten auf, aber auch Gefahren und Tücken, denen man sich bewusst sein sollte.

Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir uns bewusst den Themenfeldern der Digitalisierung widmen und etwas Klarheit in die wichtigsten Begriffe bringen. Tagtäglich hört man Begriffe wie Digitalisierung, Digitisierung, digitale Transformation, digitale Strategie oder digitale Maturität. Ganz abgesehen von konkreteren, angewandten Schlagwörtern wie digitales Management, digitales Leadership, digitale Organisation, digitale Ethik, und so weiter. In diesem Handgemenge der "digitalen" Begrifflichkeiten wollen wir uns einige der wichtigsten vorknöpfen und voneinander abgrenzen.

Digitisierung (Digitization)

Kommen wir zum grundlegendsten dieser Begriffe. Dabei denkt man zwar sofort an Digitalisierung, doch es gibt ein Konzept, das noch fundamentaler ist. Man könnte fast schon sagen, dass es sich hier um die Digitalisierung im ursprünglichen Sinne handelt. Das englische Wort dafür lautet "digitization" – auf Deutsch: Digitisierung. Damit meint man die Umwandlung von analogen Daten in digitale Formate. Das oben genannte Beispiel der Musikträger kommt uns hier zu Hilfe. Stellen Sie sich vor, dass Sie eine alte Schallplatte von dem berühmten Jazz-Sänger Frank Sinatra haben, aber Sie möchten die Songs Ihrem Publikum online über eine Cloud zur Verfügung stellen. Dazu müssen Sie es zuerst schaffen, die analogen Informationen auf der Platte irgendwie auf einen Computer zu bekommen. Dort sind sie dann digital gespeichert und können über das Internet weitergereicht werden. Wie gesagt, der Computer speichert sich nicht die Schallwellen ab, sondern legt die Information in einer Reihe von Einsen und Nullen ab. Genau diese digitale Information kann dann problemlos weiterverarbeitet und distribuiert werden.

Den klassischen Fall der Digitisierung finden wir im Moment in den Versicherungen und Bibliotheken vor. Dort befinden sich eine Vielzahl von Kundendokumenten oder Büchern, die nur analog – also in Papierform – abgelegt sind. Wenn Sie diese Dokumente nach einem Suchbegriff durchforsten möchten, dann würden Sie sicherlich Monate oder gar Jahre damit verbringen. Aus diesem Grund gibt es heute viele Teams, die ihre Zeit damit verbringen, die Inhalte zu scannen und elektronisch abzulegen. Et voilà, die Dokumente werden "digitisiert (Benitez et al., 2022; Genennig, 2019; Mukherjee et al., 2022).

Digitalisierung

Damit kommen wir zu der Idee der Digitalisierung. Während sich die Digitisierung mit der Frage befasst: "Wie bekommen wir die analogen Daten in eine digitale Form?", beschäftigt sich die Digitalisierung mit der Frage: "Was machen wir denn jetzt mit diesen digitalen Daten?" Die Digitisierung generiert digitale Daten und die Digitalisierung will sie nun sinnvoll anwenden. Somit wird schnell ersichtlich, dass der Begriff der Digitalisierung ein Überbegriff für die Umsetzung und Verarbeitung digitaler Informationen ist. Das kann im betrieblichen Geschäftswesen diverse Dinge bedeuten, z.B. die Automatisierung der Datenverarbeitung, die Erstellung digitaler Arbeitsprozesse, die Umstellung auf digitale Kommunikationskanäle oder die Implementierung von neuartigen datenbezogenen Geschäftsmodellen. Man könnte als grobe Faustregel sagen: "Digitalisiert ist alles, was auf digitalem Wege verarbeitet wird." (Mostaghel et al., 2022; Palmié et al., 2022; Suuronen et al., 2022).

Digitale Transformation

Aber wie stellen wir denn die Prozesse in unseren Unternehmen überhaupt auf diese digitale Welt um? Genau damit befasst sich die Idee der digitalen Transformation (Sedera et al., 2022). Hier geht es um die Veränderung der gesamten Unternehmung – also z.B. der Organisationskultur, der Fähigkeiten, des Wissens, der Produkte und Dienstleistungen, der Kommunikationskanäle, etc. – auf die Dimensionen der Digitalisierung. Da sich die Möglichkeiten in diesem Bereich rasant weiterentwickeln, wurden in den letzten Jahren relativ viele Transformationsmodelle erarbeitet, um die Firmen auf dem Weg in die Digitalisierung zu unterstützen.

Ein bekanntes Schweizer Produkt ist das Transformationsmodell von Marc Peter, basierend auf fast 2'000 KMUs. Dieses sogenannte "Vorgehensmodell der Transformation" umfasst diverse für die Transformation notwendige Elemente: die Maturitätsanalyse, die digitale Strategie, Kundenzentriertheit, neue Technologien, das Wettbewerbsumfeld, Daten & die Cloud, Plattformen & Ökosysteme, Geschäfts- und Prozessentwicklung, die digitale Roadmap, digitales Marketing, Leadership und Kultur. Ziel dieser Elemente ist es, ein Unternehmen in das "digitale Zeitalter" zu führen, wir haben es also mit einer besonderen Form des Change-Managements zu tun. Und wie in so vielen Change-Modellen ist auch hier das Ziel, dass die Unternehmung im Veränderungsprozess bleibt, da sich auch die Umwelt konstant verändert (Kraft et al., 2022; Peter, 2017; Peter et al., 2020).

Digitale Strategie

Dieser Digitalisierungsprozess verliert aber jede Schlagkraft, wenn sie nicht an eine klare Strategie gekoppelt ist. Die digitale Strategie soll die Digitalisierung und den damit verbundenen Transformationsprozess leiten. Sie soll eine klare Vorstellung mit konkreten Zielen bieten, die das Unternehmen auf diesem Weg begleitet und sämtlichen Hierarchiestufen eine strategische Ausrichtung verleiht. Im besten Fall wird diese durch eine Roadmap mit zeitbezogenen Meilensteinen untermauert, sodass es sich dabei nicht um blosse Lippenbekenntnisse handelt, sondern um klar abgrenzbare Rahmenbezüge der Orientierung. Besonders wichtig ist dabei, dass die unternehmerische Gesamtstrategie und die organisationale digitale Strategie aufeinander abgestimmt sind und miteinander Hand in Hand gehen.

Wenn dies nicht der Fall ist, kann man sich die Unternehmung wie eine Kutsche mit zwei Pferden vorstellen, die nicht in die gleiche Richtung laufen. In diesem Bild wird die Kutsche nicht sinnvoll zum Ziel gelangen. Erst wenn die digitale Strategie von den Zielen der Gesamtstrategie abgeleitet werden und wiederum in diese integriert werden, entfaltet sie ihre volle Schlagkraft und kann nicht nur bestehende Prozesse optimieren, sondern auch gänzlich neue Möglichkeiten für Wertschöpfungsangebote erschaffen (hervorragende Analysen dazu finden Sie hier: Brown, 2019; Gupta, 2018; Saldanha, 2019).

Digitale Reifegradmodelle

Zu Beginn der Transformation steht die Frage: "Wie weit sind wir bereits mit der Digitalisierung fortgeschritten?" Um dies zu beantworten, wurden sogenannte digitale Reifegradmodelle oder digitale Maturitätsmodelle entwickelt. Diese helfen den Unternehmen zu verstehen, wie stark sie bereits in den digitalen Bereichen sind und wo noch Nachholbedarf existiert. Dieser Nachholbedarf kann identifiziert und mittels der Roadmap ausgebessert werden. Gängige Maturitätsmodelle betrachten die zwei Dimensionen der "digitalen Fähigkeiten" und des "digitalen Bewusstseins". Beide sind notwendig, um sich strategisch zu digitalen Experten zu entwickeln (Erner, 2019; Gökalp & Martinez, 2021; Spaltini et al., 2022; Steinlechner et al., 2021).

"Digital" als eine Metaperspektive

Die Frage, was digital eigentlich bedeuten soll, war früher einfacher als heute. Es handelte sich um die Handhabung von elektronisch verfügbaren Daten. Das ist zwar heute im Kern immer noch korrekt, doch haben sich daraus mittlerweile eine so grosse Anzahl von Möglichkeiten entwickelt, dass weitreichende Ökosysteme daraus entstanden sind. Von digitalen Geschäftsmodellen über digitale Prozesse bis hin zu digitalen Fähigkeiten bestehen mittlerweile eine Vielzahl von Konzepten, die Aussagen darüber machen, wie genau die Handhabung dieser Daten aussieht. Insofern hat sich digital heutzutage zu einer Metaperspektive entwickelt, was bedeutet, dass es ein eigener Blickwinkel auf unterschiedliche Themen darstellt.

Zum Vergleich lässt sich der Begriff "Management" heranführen. Auch Management kann als Metaperspektive gehandhabt werden, da man Management auf ganz viele Sachverhalte anwenden kann. Man kann z.B. über Projektmanagement, Stakeholder-Management, Management von Teams, Anforderungsmanagement, usw. sprechen. Genau das Gleiche trifft auf das Wort digital zu.

Wichtig ist letztlich, dass wir uns genau überlegen, was wir genau mit den Begrifflichkeiten aussagen möchten und – insbesondere in der Geschäftswelt – wie sich aus diesen Eigenheiten einen betrieblichen Nutzen stiften lässt (Hays & Kammer, 2021; Leonardi & Neeley, 2022).

###

Die Digitalisierung und damit verbundene Konzepte eröffnen neue Welten, die auch im Geschäftswesen viele Möglichkeiten bieten. Wenn Sie sich in diesem Bereich weiterentwickeln möchten, sei Ihnen der Studiengang CAS FH in Digitales Management & Unternehmensführung der Kalaidos FH empfohlen.

Quellen und weiterführende Informationen

Benitez, J., Arenas, A., Castillo, A., & Esteves, J. (2022). Impact of digital leadership capability on innovation performance: The role of platform digitization capability. Information & Management, 59(2), 103590. https://doi.org/10.1016/j.im.2022.103590

Brown, A. W. (2019). Delivering Digital Transformation: A Manager’s Guide to the Digital Revolution. Unities Press.

Erner, M. (Ed.). (2019). Management 4.0 – Unternehmensführung im digitalen Zeitalter. Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-662-57963-3

Genennig, S. M. (2019). Realizing Digitization-Enabled Innovation: A Service Systems Perspective for Management (1st ed.). Springer Gabler.

Glover, J., Ariefdjohan, M., & Fritsch, S. L. (2022). #KidsAnxiety and the Digital World. Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, 31(1), 71–90. https://doi.org/10.1016/j.chc.2021.06.004

Gökalp, E., & Martinez, V. (2021). Digital transformation capability maturity model enabling the assessment of industrial manufacturers. Computers in Industry, 132, 103522. https://doi.org/10.1016/j.compind.2021.103522

Gupta, S. (2018). Driving digital strategy: A guide to reimagining your business. Harvard Business Review Press.

Hays, L., & Kammer, J. (Eds.). (2021). Integrating digital literacy in the disciplines (First Edition). Stylus Publishing, LLC.

Kickbusch, I., Piselli, D., Agrawal, A., Balicer, R., Banner, O., Adelhardt, M., Capobianco, E., Fabian, C., Singh Gill, A., Lupton, D., Medhora, R. P., Ndili, N., Ryś, A., Sambuli, N., Settle, D., Swaminathan, S., Morales, J. V., Wolpert, M., Wyckoff, A. W., … Wong, B. L. H. (2021). The Lancet and Financial Times Commission on governing health futures 2030: Growing up in a digital world. The Lancet, 398(10312), 1727–1776. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01824-9

Kraft, C., Lindeque, J. P., & Peter, M. K. (2022). The digital transformation of Swiss small and medium-sized enterprises: Insights from digital tool adoption. Journal of Strategy and Management, ahead-of-print(ahead-of-print). https://doi.org/10.1108/JSMA-02-2021-0063

Leonardi, P. M., & Neeley, T. (2022). The digital mindset: What it really takes to thrive in the age of data, algorithms, and AI. Harvard Business School Publishing Corporation.

Mostaghel, R., Oghazi, P., Parida, V., & Sohrabpour, V. (2022). Digitalization driven retail business model innovation: Evaluation of past and avenues for future research trends. Journal of Business Research, 146, 134–145. https://doi.org/10.1016/j.jbusres.2022.03.072

Mukherjee, S. B., Ghatak, S. G. N., & Ray, N. (Eds.). (2022). Digitization of economy and society: Emerging paradigms (1st edition). Apple Academic Press.

Palmié, M., Miehé, L., Oghazi, P., Parida, V., & Wincent, J. (2022). The evolution of the digital service ecosystem and digital business model innovation in retail: The emergence of meta-ecosystems and the value of physical interactions. Technological Forecasting and Social Change, 177, 121496. https://doi.org/10.1016/j.techfore.2022.121496

Peter, M. K. (Ed.). (2017). KMU-Transformation: Als KMU die Digitale Transformation erfolgreich umsetzen (1. Auflage). FHNW Fachhochschule Nordwestschweiz.

Peter, M. K., Kraft, C., & Lindeque, J. (2020). Strategic action fields of digital transformation: An exploration of the strategic action fields of Swiss SMEs and large enterprises. Journal of Strategy and Management, 13(1), 160–180. https://doi.org/10.1108/JSMA-05-2019-0070

Saldanha, T. (2019). Why digital transformations fail: The surprising disciplines of how to take off and stay ahead (First edition). Berrett-Koehler Publishers, a BK Business Book.

Sedera, D., Tan, C.-W., & Xu, D. (2022). Digital business transformation in innovation and entrepreneurship. Information & Management, 59(3), 103620. https://doi.org/10.1016/j.im.2022.103620

Spaltini, M., Acerbi, F., Pinzone, M., Gusmeroli, S., & Taisch, M. (2022). Defining the Roadmap towards Industry 4.0: The 6Ps Maturity Model for Manufacturing SMEs. Procedia CIRP, 105, 631–636. https://doi.org/10.1016/j.procir.2022.02.105

Steinlechner, M., Schumacher, A., Fuchs, B., Reichsthaler, L., & Schlund, S. (2021). A maturity model to assess digital employee competencies in industrial enterprises. Procedia CIRP, 104, 1185–1190. https://doi.org/10.1016/j.procir.2021.11.199

Suuronen, S., Ukko, J., Eskola, R., Semken, R. S., & Rantanen, H. (2022). A systematic literature review for digital business ecosystems in the manufacturing industry: Prerequisites, challenges, and benefits. CIRP Journal of Manufacturing Science and Technology, 37, 414–426. https://doi.org/10.1016/j.cirpj.2022.02.016

Volberda, H. W., Khanagha, S., Baden-Fuller, C., Mihalache, O. R., & Birkinshaw, J. (2021). Strategizing in a digital world: Overcoming cognitive barriers, reconfiguring routines and introducing new organizational forms. Long Range Planning, 54(5), 102110. https://doi.org/10.1016/j.lrp.2021.102110

Facebook Twitter Xing LinkedIn WhatsApp E-Mail