Mann beim Tagträumen Mann beim Tagträumen
Tagträumen muss nicht zwangsweise negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung haben. (Symbolbild)

Am Arbeitsplatz erwartet man von uns Gewissenhaftigkeit und Konzentration. Tagträumen wird oft als ein Zeichen von Desinteresse und Faulheit gedeutet und hat hier nichts zu suchen – zumindest ist das die vorherrschende Meinung. Doch ist Träumen am Arbeitsplatz wirklich so schlecht wie sein Ruf?

Beginnen wir zu träumen: Im Jahr 1990 war Jo wieder einmal im Zug von Manchester nach London unterwegs. Während sie gelangweilt vor sich hinträumte überschlugen sich plötzlich ihre Gedanken. Sie griff zu Blatt und Stift. Auch wenn der Name ihres Helden, einem jungen Zauberer, noch fehlte, war die Idee für eine der heute bekanntesten Kinder- und Jugendbuchreihen entstanden. Später nannte sie ihn Harry Potter.

Tagträumen im Gehirn

In der Psychologie wird Tagträumen häufig als aufgabenunabhängiges Denken bezeichnet, was nicht nur unbewusst geschehen, sondern auch gezielt herbeigeführt werden kann. Studien haben gezeigt, dass Tagträumen uns dabei helfen kann unsere Gedanken zu ordnen und Pläne zu schmieden. Diese positiven Effekte zeigen sich vor allem dann, wenn wir gezielt unseren Gedanken nachhängen. Tagträumen ist sogar im Gehirn zu sehen: Das so genannte „Default Mode Network“ sind Gehirnregionen, die dann aktiv werden, wenn wir nichts tun und uns eine gedankliche Auszeit nehmen. Sie sind deaktiviert, wenn wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren. Forschung konnte sogar zeigen, dass diese Areale bei Personen, die häufig gezielt Tagträumen, ausgeprägter sind. Zusätzlich war das Default Mode Netzwerk dieser Teilnehmer stärker mit einem Bereich des Gehirns vernetzt, der uns dabei hilft zu fokussieren und irrelevante Reize zu unterbinden. Die Ergebnisse legen nahe, dass wir also auch beim (gezielten) Tagträumen die Kontrolle haben, unsere Aufmerksamkeit dann einfach nach innen gerichtet ist.

Tagträumen und Kreativität

In einer Studie, die 2012 in Psychological Science erschienen ist, erhielten die Versuchsteilnehmenden nach einem ersten Kreativitätstest eine anspruchsvolle oder alternativ eine sehr langweilige Aufgabe, die dafür bekannt ist, dass Menschen dabei in Gedanken abdriften. Anschliessend erfolgte eine weitere Kreativitätstestung. Es zeigte sich, dass die Personen, die in der Zwischenzeit mit der langweiligen Aufgabe konfrontiert waren, deutlich besser im sich wiederholenden Kreativitätstest abschnitten. Spannenderweise schnitten sie sogar besser ab als Personen, die in der Zwischenzeit einfach nur eine Pause machen durften. Die Autoren der Studie schlossen, dass vor allem eine unterfordernde Tätigkeit, die das Tagträumen begünstigt, Kreativität steigert. Sie vermuten, dass das hierbei auftretende Tagträumen als eine Art Inkubationszeit wirkt und dadurch die kreative Leistung ansteigt. Zusätzlich zeigten sich Effekte der Tagträumenshäufigkeit im Alltag: Personen, die in ihrem täglichen Leben häufiger Tagträumen, erzielten allgemein bessere Ergebnisse bei den Kreativitätstests.

Tagträumen bei der Arbeit

Wie so häufig könnte man vermuten, dass die Aussagekraft einer Laboruntersuchung weitab der realen Welt für unser Leben wenig aussagekräftig ist. Eine kürzlich erschienene Studie untersuchte nun die Auswirkungen von Tagträumen gezielt am Arbeitsplatz.

Wissenschaftler untersuchten dabei den Zusammenhang von Tagträumen und Kreativität an mehreren hundert Arbeitnehmenden diverser Berufsbranchen. Als erstes zeigte sich, dass kognitiv anspruchsvolle Arbeit und knifflige Probleme zum Auftreten von Tagträumen führte. Zentral war jedoch, dass Tagträumen zu einer höheren Kreativität führte. Aber: Dieser Effekt war nur signifikant, wenn die Personen ein bestimmtes Kriterium erfüllten, nämlich angaben sich mit ihrer Arbeit identifizieren zu können. Spannend war zudem, dass entgegen häufiger Annahmen Tagträumen nicht zwangsweise negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung haben muss. Dies war nur bei Personen der Fall, die sich nicht mit ihrer Arbeit identifizierten. Wenn wir nicht von unserer Arbeit erfüllt sind, scheint Tagträumen also tatsächlich nur sinnlose Zeitverschwendung. Identifizieren wir uns mit unserer Arbeit, führt Tagträumen zu einer höheren Kreativität. So legten die Autoren nahe, dass gerade in Branchen, in denen Kreativität und Innovationen zentral seien, Tagträumen bei der Arbeit nicht negativ beurteilt werden sollte.

Was schlussfolgern wir daraus?

Tagträumen kann also durchaus positive Effekte haben. Nebst dem Ordnen von Gedanken und dem Planen von nächsten Schritten kann es – vorausgesetzt, dass wir uns mit unserer Arbeit identifizieren– sogar unsere Kreativität und somit auch Leistung steigern. Gerade, wenn wir mit kniffligen Problemen konfrontiert sind, kann Tagträumen also ein durchaus nützliches Tool sein und wir können unsere Gedanken ohne schlechtes Gewissen (gezielt) auf Wanderschaft gehen lassen.

Quellen: 

Baer, M., Dane, E., & Madrid, H. (2020). Zoning out or Breaking Through? Linking Daydreaming to Creativity in the Workplace. Academy of Management Journal.

Baird, B., Smallwood, J., Mrazek, M. D., Kam, J. W., Franklin, M. S., & Schooler, J. W. (2012). Inspired by distraction: Mind wandering facilitates creative incubation. Psychological science, 23, 1117-1122.

Godwin, C. A., Hunter, M. A., Bezdek, M. A., Lieberman, G., Elkin-Frankston, S., Romero, V. L., ... & Schumacher, E. H. (2017). Functional connectivity within and between intrinsic brain networks correlates with trait mind wandering. Neuropsychologia, 103, 140-153.

Autor/in
Luciano Eva

Eva Luciano

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