Gesetzbuch mit Richterhammer und Brille Gesetzbuch mit Richterhammer und Brille
Die Weiterentwicklung des Nachlassverfahrens (Symbolbild)

Wie im ersten Teil dieses Beitrags dargelegt wurde, wurde der Nachlassvertrag in der Zwangsvollstreckung des Schweizerischen Rechts mit dem ersten gesamtschweizerischen Betreibungs- und Konkursrecht 1889 eingeführt. Dabei gingen weder der Bundesrat noch die gesetzgebenden Behörden davon aus, es handle sich beim «Nachlassvertrag» um einen Vertrag im Sinne des Privatrechts. Man war sich bewusst, dass man das «concordat» des Genfer Zwangsvollstreckungsrechts in das SchKG einführte und der Bundesrat gab dieser Tatsache mit seinem Vorschlag Ausdruck, auch in der deutschen Fassung des Gesetzes den Begriff «Konkordat» zu übernehmen. Die gesetzgebenden Räte folgten ihm dabei nicht.
Das «concordat» des Genfer Rechts beruhte auf einer zwischen der Mehrheit der Gläubiger und dem Schuldner erzielten Übereinkunft, die von den Zwangsvollstreckungsbehörden zu genehmigen war und dadurch auch für die nicht zustimmenden Gläubiger verbindlich wurde. Das wurde ins SchKG übernommen. Der irreführende Begriff «Nachlassvertrag» fand lediglich Eingang in die deutsche Fassung des SchKG.

Die Weiterentwicklung des Nachlassverfahrens

Die erste Weiterentwicklung des Nachlassrechts wurde mit der Botschaft des Bundesrates an die eidgenössischen Räte über die Teilrevision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 16. März 1948 (Botschaft 1948, BBl 1948 I 1218) in Gang gesetzt. Hauptsächliches Thema des Vorschlages zum Nachlassvertragsrecht war die Einführung des Liquidationsvergleichs (Botschaft 1948, BBl 1948 I 1218, Seite 1221).

Art 17 des Vorschlages des Bundesrates sah vor, neu die Artikel 306a-306f ins SchKG einzufügen, die die Rechtsgrundlagen für einen Nachlassvertrag schuf, mit dem im Vertrag zu bestimmende Vermögenswerte des Schuldners an die Gläubiger abgetreten würden. Diese Vermögenswerte waren nach der rechtskräftigen Genehmigung des Vertrags durch Liquidatoren unter Aufsicht eines Gläubigerausschusses zu verwerten. Der erzielte Liquidationserlös war den unten den Nachlassvertrag fallenden Gläubigern nach den Regeln des Konkursrecht zu verteilen. Ein Nachforderungsrecht der Gläubiger über das abgetretene Vermögen hinaus war im Vertrag auszuschliessen oder aber genau zu umschreiben. Die Ausstellung von Verlustscheinen hatte zu unterbleiben. Diese Art des Nachlassvertrages wurde als «Liquidationsvergleich» bezeichnet (BBl 1948 I 1218, Seite 1244/1245).

Die Bestimmungen waren aus dem Notrecht der Kriegszeit übernommen worden, die sich in diesem Punkt wiederum auf eine Verordnung des Bundesgerichts über das Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen stützte. Die Darlegungen des Bundesrates in der Botschaft von 1948 belegen das:

«Das Notrecht hat für den Inhalt und die Wirkungen des Liquidationsvergleichs (Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung) die zutreffenden Bestimmungen der bundesgerichtlichen Verordnung vom 11. April 1985 betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen (A. S. 51, 248) mit wenigen Abänderungen sinngemäss anwendbar erklärt (Art. 51 VMZ). Der Bundesrat hat damit einem Bedürfnis der Praxis entsprochen; denn das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz ordnet den Liquidationsvergleich nicht.» (…) «Wir begnügen uns dabei nicht nur mit einem Hinweis auf die erwähnte Verordnung des Bundesgerichts. Vielmehr werden die «zutreffenden » und bisher «sinngemäss anzuwendenden» Bestimmungen als Art. 306 a—306f in das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz eingebaut und dabei ihrer allgemeineren Bedeutung angepasst. Insbesondere wird eine Verantwortlichkeit der Liquidatoren und der Mitglieder des Gläubigerausschusses im Sinne von Art. 5 SchKG statuiert.» (BBl 1948 I 1218, Seite 1230).

Die Räte nahmen am Entwurf des Bundesrates wesentliche Änderungen und Ergänzungen vor, die am 28. September 1949 beschlossen wurden. Die Regeln über den Liquidationsvergleich nach dem Vorschlag des Bundesrates in seiner Botschaft wurden aber in die Artikeln 316a-316f übernommen. Die Art. 316g-326g wurden in den Beratungen neu eingefügt und machten in aller Deutlichkeit klar, dass der Liquidationsvergleich sich bei der Verwertung und Verteilung eng am Konkursrecht zu orientieren hatte (AS 1950-03 vom 26.01.1950, Seiten 57-71).

Als neuer Titel von Art. 317 wurde der Untertitel «Nachlassvertrag im Konkurs» eingefügt (AS 1950-03 vom 26.01.1950, Seite 69). Die Möglichkeit eines Nachlassvertrages im Konkurs hatte schon bestanden, durch die Einfügung des Titels änderte sich materiell zwar nichts, aber die Bestimmung erhielt innerhalb der Systematik des Gesetzes ein stärkeres Gewicht.

Die Revision des SchKG von 1994

Eine umfassende Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts schlug der Bundesrat den Räten 1991 vor. Der Bundesrat umschrieb die für das Nachlassverfahren vorgesehenen Änderungen in seiner Botschaft vom 8. Mai 1991 unter dem neu gewählten Titel «210 Nachlassverfahren» und «210.1. Kodifikation der Praxis und systematische Neugliederung» wie folgt:

«An der grundsätzlichen Ausgestaltung des geltenden Nachlassvertragsrechtes werden keine Aenderungen vorgenommen. Jedoch müssen einzelne Artikel an die Bedürfnisse der Praxis angepasst werden, und es drängt sich eine Neugliederung des ganzen Abschnittes auf. Die erst mit Bundesgesetz vom 28. September 1949 (AS 1950 I 57, 71; BB1 1948 I 1218) ins SchKG eingefügten Bestimmungen über den Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (geltende Art. 316a-316t) werden dadurch besser in den Elften Titel integriert und die einzelnen Verfahrensstadien klarer dargestellt. So wird deutlich, dass grundsätzlich jedem Nachlassvertrag eine Nachlassstundung vorausgeht (I. Abschnitt: Nachlassstundung; neu Art. 293-304), und es werden im Anschluss daran diejenigen Normen zusammengefasst, die für alle Arten von Nachlassverträgen massgebend sind (II. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen über den Nachlassvertrag; neu Art. 305-313). Der dritte Abschnitt (Ordentlicher Nachlassvertrag; neu Art. 314-316) enthält in Artikel 314 eine Definition des ordentlichen Nachlassvertrages, die heute fehlt, und im Üübrigen auch die Bestimmungen, die nur auf den Stundungs- und Prozentvergleich anwendbar sind. Die geltenden Artikel 316a-316t werden neu durchnummeriert (IV. Abschnitt: Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung; neu Art. 317-331). Da die kantonalen und die bundesgerichtlichen Entscheide zu dieser Materie nicht sehr zahlreich sind, wird damit die Konkordanz zur Rechtsprechung nicht zu sehr beeinträchtigt. Die Neugliederung des Nachlassverfahrens ist im Vernehmlassungsverfahren einhellig begrüsst worden.» (Botschaft BBL 1991 III 1, Seite180).

Tatsächlich wurden die Bestimmungen zum Liquidationsvergleich mit wenigen Detailänderungen übernommen (Botschaft 1991, BBl 1991 III 1 Seiten 191 ff.). Nicht neu geregelt aber neu bezeichnet wurde der nun als «ordentlicher Nachlassvertrag» bezeichnete Vertrag, mit dem die Gläubiger einer Stundung zustimmten, einen Forderungserlass genehmigten oder sich zu einer Kombination beider Möglichkeiten bekannten (Erläuterungen zu Art. 314 Entwurf, BBl 1991 I 1 Seite 190). Die Räte folgten weitgehend dem Vorschlag des Bundesrates und stimmten der Neufassung des Gesetzes am 16. Dezember 1994 zu. Das neu gefasste Gesetz trat am 1. Januar 1997 in Kraft.

Die weiteren Revisionen des Nachlassvertragsrechts

Die heutige Ordnung des Nachlassvertragsrechts im SchKG kommt inhaltlich praktisch vollständig aus dem SchKG von 1889 und der Revision von 1948. Die Revision von 1994 hat sich weitgehend darauf beschränkt, die Nummerierung und den Aufbau des Nachlassvertragsrechts neu zu ordnen und latente Streitfragen zu klären.

Einen Versuch zur Weiterentwicklung unterbreitete der Bundesrat den eidgenössischen Räten mit der «Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (Sanierungsrecht)» vom 8. September 2010 (BBl 2010 Nr. 40 6455). Das Ziel der Revision ergibt sich bereits aus dem in Klammer zum Titel beigefügten Stichwort «Sanierungsrecht» und wurde schon im ersten Abschnitt der Botschaft wie folgt beschrieben:

Ausgangspunkt [des Revisionsvorschlages] bildet dabei die Feststellung, dass das schweizerische Insolvenzrecht unter dem Gesichtspunkt der Unternehmenssanierung tauglich und praktikabel ist, dabei aber einzelne Schwächen aufweist, die es zu beseitigen gilt. (BBl 2010 Nr. 40, Seite 6455).

Auf eine umfassende Revision wurde also verzichtet. Grundlegend neu war die gesetzliche Grundlage dafür, die Gläubiger mit Anteilen an einer Auffanggesellschaft abzufinden (Art. 314 Absatz 1 bis SchKG). Neu ist auch, dass die Anteilsinhaber beim ordentlichen Nachlassvertrag einen angemessener Sanierungsbeitrag beizutragen haben (Art. 306 Absatz 1 Ziffer 3 SchKG). Im Übrigen wurden die bisher ausserhalb des SchKG bestehende Sanierungsmöglichkeit mittels Konkursaufschub (Art. 725a altOR) ins Nachlassverfahrensrecht des SchKG integriert (vgl. BBl 2010 Nr. 40 Seiten 6460 f.). Weitergehende Revisionsvorschläge setzten sich nicht durch.

Weitere Revisionen des Nachlassrechtes sind derzeitig im Verfahren der Vernehmlassung (vgl. https://fedlex.data.admin.ch/eli/dl/proj/2021/97/cons_1).

Autor/in
Thomas Gattlen

Dr. iur. RA Thomas Gattlen

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