Faden Profil eines Kopfs Faden Profil eines Kopfs
Wie lässt sich die Persönlichkeitsstruktur grafisch darstellen? (Symbolbild)

In der Psychologie werden Eigenschaften oder Fähigkeiten von Personen, die nicht direkt messbar sind, als psychologische Konstrukte bezeichnet. Ein Beispiel für eine Eigenschaft wäre die Extraversion (wie sehr eine Person nach aussen gewandt ist; wie stark sie aus sich heraus geht), ein Beispiel für eine Fähigkeit die soziale Kompetenz (wie gross das Verständnis für das Innenleben einer anderen Person ist oder wie gut schwierige soziale Situationen gemeistert werden). Psychologische Konstrukte sind Hilfskonstruktionen, um leichter zu beschreiben, dass eine Person, die das eine tut oder kann, häufig auch das andere macht. Spannend wird es vor allem, wenn sich ein solcher Zusammenhang nicht auf den ersten Blick erschliesst. Zum Beispiel, dass eine Person, die gerne Vorträge und Präsentationen hält, sich wahrscheinlich auch auf Grillpartys wohlfühlt. Die Verbindung ergibt sich aus den Implikationen der Präsentierfreude: Zum Beispiel, dass sich diese Person von grossen Menschenmengen eher angezogen fühlt als abgeschreckt, und dass sie Gefallen daran findet, anderen Menschen etwas zu erzählen. Keine schlechten Voraussetzungen also, um an einer Grillparty Spass zu haben. Wahrscheinlich geht diese Person grundsätzlich gern aus sich heraus und wendet sich gern anderen Menschen zu. Psychologen würden sagen: Wahrscheinlich ist sie extravertiert.

In diesem Beitrag wird eine neue Darstellungsform psychologischer Konstrukte vorgestellt, die unter anderem an der Kalaidos Fachhochschule entwickelt wurde.

Die grossen fünf Persönlichkeitseigenschaften – die Big Five

Möchte man die gesamte Persönlichkeit einer Person beschreiben, werden in der Psychologie üblicherweise noch vier weitere Persönlichkeitseigenschaften neben der Extraversion herangezogen. Gemeinsam bilden sie die Big Five der Persönlichkeit:

Extraversion: Wie kontaktfreudig, lebhaft und heiter ist eine Person?
Neurotizismus: Wie stressanfällig, launig und ängstlich ist eine Person?
Verträglichkeit: Wie rücksichtsvoll, hilfsbereit und ehrlich ist eine Person?
Gewissenhaftigkeit: Wie ordentlich, pflichtbewusst und zielstrebig ist eine Person?
Offenheit für Erfahrung: Wie aufgeschlossen, interessiert und feinfühlig ist eine Person?

Auch wenn die Big Five sehr gut funktionieren, ist mit ihnen natürlich nicht alles über die Persönlichkeit eines Menschen gesagt. Die Big Five wurden nach dem Effizienzprinzip entwickelt und dienen zur schnellen groben Einordnung. Das Effizienzprinzip führt dazu, dass man mit der Kenntnis einer Persönlichkeitsausprägung nur wenig auf die einer anderen schliessen kann. Kurz gesagt: Nur weil eine Person eine hohe Ausprägung in der Dimension «Gewissenhaftigkeit» hat, kann sie sich später immer noch als verträglich/unverträglich, extravertiert/introvertiert etc. herausstellen. Wäre es hingegen so, dass gewissenhafte Menschen immer auch verträglich sind, könnte die Gewissenhaftigkeit und die Verträglichkeit unter einem neuen Überbegriff zusammengefasst werden, um zu einer noch effizienteren Persönlichkeitsbeschreibung zu gelangen. Das entspricht jedoch nicht der Realität.

Die Ausdifferenzierung der Big Five

Während sich die Big Five in der Psychologie als effiziente Persönlichkeitsbeschreibung etabliert haben, ist die weitere Ausdifferenzierung jeder einzelnen Persönlichkeitseigenschaft nicht eindeutig geklärt. Dies ist abhängig von den Fragen (Items), die zur Erfassung verwendet werden. Mit der hier vorgestellten Darstellungsform kann der zur Erfassung verwendete Fragen-/Itempool visualisiert werden. Die Darstellungsform wird Item Pool Visualization genannt und illustriert psychologische Konstrukte und deren Teilbereiche (ab jetzt Facetten genannt) als Kreise. Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse eines öffentlich zugänglichen Fragebogens mit knapp über 20.000 Teilnahmen, der die Extraversion (linker Kreis) und die Offenheit für Erfahrung (rechter Kreis) in jeweils vier Facetten (kleinere Kreise) unterteilt. Folgendes kann aus der Abbildung direkt entnommen oder abgeleitet werden:

Grafik Extrversion Openness
Abb. entnommen aus Petras et al. (2023)
  1. Eine Zahl innerhalb eines Kreises in Richtung eines anderen Kreises stellt die gegenseitige Korrelation (deren Zusammenhang) dar. Dies gilt für die Facetten eines Konstrukts (die Zahlen innerhalb der kleinen dunkelblauen Kreise) als auch für die zwei Konstrukte selbst (die grössere fettgedruckte Zahl am Rande eines hellblauen Kreises). Extraversion und Offenheit zeigen in diesen Daten eine Korrelation von 0.29.

  2. Die Facetten der Extraversion korrelieren stärker untereinander als die der Offenheit (die Zahlen sind grösser) und weisen demnach eine stärkere inhaltliche Überschneidung auf. In der Darstellung werden sie deshalb näher aneinander bzw. näher am Zentrum angeordnet. Dadurch wird ersichtlich, dass die Extraversion im Vergleich zur Offenheit ein eng definiertes Konstrukt darstellt. Für den Alltag bedeutet das: Extravertierte Personen sind sich ähnlicher als Personen, die sich offen gegenüber Neuem zeigen (es gibt mehr verschiedene Varianten von Offenheit). Dass die Big Five und auch andere psychologische Konstrukte unterschiedlich breit definiert sind, wird ohne passende Darstellung leicht übersehen.

  3. Innerhalb der Offenheit entspricht die Facette «Creativity» am ehesten dem, was allgemein als Offenheit (für neue Erfahrungen) verstanden wird. Sie bezieht sich auf das Interesse an Kreativität und ist am zentralsten angeordnet. Nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass das Generieren von Neuem den Kernbestandteil der Kreativität darstellt. Ebenso plausibel, dass die Facette «Aesthetic Appreciation» weiter aussen angeordnet wird und hier eine eher untergeordnete Rolle spielt. Denn wer grossen Wert auf Ästhetik legt, muss – trotz eines Bezugs zum Künstlerischen – nicht zwangsläufig offen sein für Neues.

  4. Auch der übergeordnete Zusammenhang der zwei Persönlichkeitseigenschaften Extraversion und Offenheit lässt sich am besten über die Facette "Creativity" erklären. Die gestrichelten Linien zeigen, dass diese Facette etwas stärker zusammenhängt mit den zwei Extraversionsfacetten «Liveliness» (Lebendigkeit) und «Social Boldness» (sozialer Mut). Mit der neuen Darstellungsform wird aufgedeckt, dass Lebendigkeit und sozialer Mut hilfreich sind, um sich auf kreative Ideen einlassen zu können.

Wie beschrieben wurden die Big Five so konstruiert, dass sie nur eine geringe inhaltliche Überschneidung aufweisen. Viele Konstrukte in der Psychologie sind sich allerdings auch sehr ähnlich. So kann es beispielsweise sein, dass sich ein Fragebogen zum eigenen Selbstbewusstsein kaum von einem Fragebogen zur eigenen Selbstwirksamkeit unterscheidet. Ebenso ist es denkbar, dass zwei unterschiedliche Fragebogen das Selbstbewusstsein recht unterschiedlich erfragen und dadurch auch unterschiedliche Personen als selbstbewusst gelten. Auch in einem solchen Fall kann die Item Pool Visualization Klarheit schaffen.

Link zum Originalartikel:
https://link.springer.com/article/10.3758/s13428-022-02052-7

Quellen und weiterführende Informationen

Asendorpf, J. B. (2019). Persönlichkeitspsychologie für Bachelor. Springer Berlin Heidelberg.

Dantlgraber, M., Stieger, S., & Reips, U. D. (2019). Introducing Item Pool Visualization: A method for investigation of concepts in self-reports and psychometric tests. Methodological Innovations, 12(3), 2059799119884283.

Petras, N., Dantlgraber, M., & Reips, U. D. (2023). Illustrating psychometric tests, scales, and constructs: An R package for Item Pool Visualization. Behavior Research Methods, 1-12.

Facebook Twitter Xing LinkedIn WhatsApp E-Mail