Forschungskolloquium Concept Creep: Wenn Mental Health Awareness zur Pathologisierung normalen Erlebens und Verhaltens führt
24.06.2025 12:30 - 13:30, Hybrid: Kalaidos Fachhochschule, Raum 405 und online via Zoom
Seit Jahren investieren Gesundheitsorganisationen und Fachverbände in Awarenesskampagnen, die die Bevölkerung über psychische Störungen aufklären sollen. Ihr Hauptfokus liegt häufig auf der Früherkennung – also der Feststellung erster Krankheitsanzeichen, damit Betroffene rechtzeitig professionelle Hilfe aufsuchen. Die Ziele und Absichten dieser Kampagnen sind naheliegend und sinnvoll, sofern sie Personen mit behandlungsbedürftigen psychischen Beschwerden zur Inanspruchnahme indizierter Therapien bewegen können.
Negative Konsequenzen haben diese Kampagnen jedoch, wenn psychisch gesunde Menschen sich einzureden beginnen, dass sie krank seien und infolgedessen Therapien beanspruchen, die weder indiziert sind noch wirklich helfen. Ein möglicher Treiber dieser sogenannten Überdiagnostik: das sogenannte «Concept Creep», also die kontinuierliche Ausweitung pathologischer Konzepte auf gesunde Verhaltensweisen und Merkmale.
Hierzu tragen Awarenesskampagnen wesentlich bei, weil es keine klaren Grenzen zwischen normalen und pathologischen psychischen Phänomenen gibt. Symptome vermeintlicher psychischer Störungen sind oftmals bloss Manifestationen normaler psychischer Mechanismen, beispielsweise Selbstinszenierung in den sozialen Medien, um sich in einer individualistischen Leistungsgesellschaft zu behaupten. Auch die narzisstische Persönlichkeitsstörung wurde von Concept Creep erfasst, wodurch dieses pathologische Konzept massiv ausgedehnt wurde. So schliesst es inzwischen auch normale psychische Phänomene wie Arroganz und Überheblichkeit mit ein.
Vor diesem theoretischen Hintergrund wird eine empirische Studie vorgestellt, welche Concept Creep am Beispiel der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in verschiedenen studentischen Populationen untersucht hat. Die Befunde zeigen, dass das Konzept des pathologischen Narzissmus in verschiedenen Bevölkerungsgruppen massiv ausgeweitet wurde und dass adäquate Fachkenntnisse eine protektive Wirkung haben könnten.
Wir freuen uns auf die gemeinsame Reflexion und einen angeregten Austausch mit Ihnen!
Wann?
Dienstag, 24. Juni 2025, 12.30–13.30 Uhr
Wo?
Kalaidos Fachhochschule, Jungholzstrasse 43, 8050 Zürich, Raum 405 oder online via Zoom
Wer?
Prof. Dr. Michael P. Hengartner, Research Group Leader an der Kalaidos Fachhochschule, tätig im Bereich Angewandte Forschung und Entwicklung
Michael P. Hengartner promovierte 2013 an der Universität Zürich zum Thema normale und Pathologische Persönlichkeit. Im Jahr 2018 habilitierte er an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich im Fachbereich Psychiatrie zum Thema der Persönlichkeit in der Psychopathologie. Er forschte an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, bevor er anfangs Jahr an die Kalaidos Fachhochschule wechselte. Seine Forschungsschwerpunkte beinhalten Risiken und Verbreitung psychischer Störungen, Konzepte und Modelle psychopathologischer Syndrome, und Themen der Inanspruchnahme und Wirksamkeit psychischer Behandlungen.