Was halten Sie von folgender Wette: Es wird eine Münze geworfen. Sie haben also eine Fifty-Fifty-Chance zu gewinnen. Der Wetteinsatz beträgt 100 Franken. Wenn Sie gewinnen, bekämen Sie 100 Franken, sonst wären 100 Franken verloren. Sie zögern? Dann geht es Ihnen wie den meisten Menschen: Der Verlust eines Betrages wird als unangenehmer empfunden als die Freude über einen Gewinn in gleicher Höhe. Dahinter steht das psychologische Phänomen der Verlustaversion.

Dieses wurde erstmals von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky vor fast 40 Jahren in der „Prospect Theory“ beschrieben. Menschen verhalten sich in Entscheidungssituationen nach rein ökonomischen Massstäben eigentlich irrational, wenn Unsicherheiten eine Rolle spielen. Die Forschungsergebnisse warfen Zweifel am Konzept eines Homo Oeconomicus auf, dem zu Folge der Mensch ein rationaler Entscheider ist, der stets die Option mit dem am höchsten zu erwartenden Nutzen wählt.

Verluste wiegen schwerer als Gewinne

Um das Ausmass der Verlustaversion zu ermessen, befragte Kahneman zusätzlich Personen nach dem Mindestgewinn, der für sie die 50-prozentige Wahrscheinlichkeit 100 Dollar zu verlieren, ausgleicht. Meist wurden 200 Dollar genannt, also der doppelte Gewinnbetrag. Über mehrere solcher Befragungen hinweg lag die Verlustaversionsrate im Schnitt zwischen 1,5 und 2,5. Oder um beim ersten Beispiel zu bleiben: Es müssen 200 Franken drin sein, wenn man den Verlust von 100 Franken riskieren soll.

Fehlverhalten im Finanzbereich

Dieser Mechanismus ist in der Finanzwelt von erheblicher Bedeutung. Im Aktienhandel gehört die Verlustaversion zu den wichtigsten Verhaltensmustern der Anleger. Sie tritt auf, wenn Anleger Wertpapiere, die unter Wasser sind, nicht rechtzeitig verkaufen, weil sie auf eine Erholung hoffen. Wegen der Verlustaversion wählen Anleger gern sichere Anlagen und schrecken vor risikoreicheren langfristig aber profitableren Möglichkeiten zurück. Die Verlustaversion verführt zu nicht rationalem Handeln: Anleger kaufen noch mehr von den gefallenen Wertpapiere nach, um den Einstandskurs zu senken und irgendwie ihr Gesicht zu wahren.

Auf der anderen Seite kann die Verlustaversion in ein Verkaufsargument umgemünzt werden. Sie wollen jemand von Ihrem Produkt überzeugen? Erzählen Sie ihm nicht, welche Gewinne er damit erzielen kann, sondern welche Fehler er damit vermeidet. Der Hinweis, was jemand ohne das Produkt verlieren könnte, wirkt stärker als die Aussicht auf einen grossen Gewinn.

Warum wir so ticken

In unserer evolutionären Vergangenheit konnte eine Unachtsamkeit - etwa auf der Jagd - das Aus bedeuten. Grosse Risiken einzugehen, bedeutete früher zu sterben, womöglich ohne Gelegenheit, seine Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Die Vorsichtigen lebten länger - und deren Nachkommen sind wir.

Weiterführende Informationen und Quellen:

Kahneman, D. & Tversky, A. (1979): Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk. Econometrica 47: 263-292.

Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. New York, NY: Farrar, Strauss and Giroux.

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Ein anderer Denkfehler, dem Daniel Kahnemann nachging, ist die Regression zur Mitte.

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