Trader und Risikosportler haben einiges gemeinsam. Darauf weist Peter Pelzer in seiner Habilitationsschrift „Risk, Risk Management and Regulation in the Banking Industry: The Risk to Come“ hin (S. 145). Er stellt dabei drei Kriterien in den Vordergrund, welche er bei den Betreibern von Risikosportarten, namentlich dem Surfen (Wellenreiten), Motorradfahren und dem Bergsteigen, beobachtet. Diese überträgt er dann auf das Trading resp. den Trader.

Die drei Kriterien lauten:
• Die Handlung
• Das eingegangene Risiko
• Der Aspekt der Natur
Für den Motorradfahrer beispielsweise besteht die Handlung im Fahren des Motorrads, das Risiko ist ein durch (vor allem in Kurven) zu schnelles Fahren verursachter Unfall mit Invaliditäts- oder Todesfolge und der Aspekt der Natur liegt in der Zentripetal- und Zentrifugalkraft, die ihn in der Kurve halten oder nicht.

Was Motorradfahrer und Trader verbindet – und was sie trennt

Dieses Schema überträgt Pelzer dann auf den Trader. Die Handlung ist das Trading, das eingegangene Risiko ist die Realisierung eines Verlusts und der Aspekt der Natur wäre der Markt, welcher dem Trader den Verlust beschert oder nicht.

Nun zeigen sich beim näheren Hinsehen signifikante Unterschiede: Zum einen ist der Markt nicht im eigentlichen Sinne eine Naturgewalt, die vom Trader losgelöst existiert. Er ist menschengemacht und wird durch die Handlung des Trading mitbestimmt. Zum anderen ist das Risiko für den Trader nicht im gleichen Masse existentiell wie in den obigen Sportarten.

Man könnte im Gegenteil vor allem im Bereich Risk und Risk Mitigation (Hedging, Risk Transfer) sogar von einer strukturierten Verantwortungslosigkeit sprechen, wenn es darum geht zu eruieren, wer letztlich die Konsequenzen aus dem entstandenen Schaden trägt (Peter Pelzer verweist darauf, dass dies im Falle der Finanzkrise der Steuerzahler war und noch ist). Aus dieser Tatsache lässt sich für Risk (und aufgrund der engen Verknüpfung auch für den Markt) konstatieren, dass es sich hierbei um eine Kunst-, oder, um Jean Baudrillards Terminologie zu benutzen, Hyperrealität handelt.

Hyperrealität manifestiert sich laut Baudrillard in vier Phasen:
1. Eine grundlegende Realität wird abgebildet (Handel auf dem Markt mit verschiedenen Produkten)
2. Die grundlegende Realität wird maskiert und pervertiert (Derivative Produkte maskieren sowohl das eigentliche Produkt (Underlying) als auch deren Risiko)
3. Das Fehlen einer grundlegenden Realität wird maskiert (Derivate existieren insofern losgelöst von ihrem Underlying, als sie nicht mehr der Absicherung dienen, sondern der Spekulation)
4. Völlige Loslösung von jeglicher Realität (Credit Default Swaps, Asset Backed Securities u.a. haben keinen Bezug mehr zum eigentlichen Zweck ihrer Underlyings, wie etwa für die Industrieproduktion vergebene Kredite)

Wie sich die Regulierung in der Hyperrealität verliert

Basierend auf den Thesen in der Habilitationsschrift von Pelzer möchte ich aus eigener Initiative nun folgende Ableitungen postulieren:

Sowohl die drei Kriterien (Handlung, Risiko, Naturaspekt), als auch die vier Phasen der Entwicklung hin zur Hyperrealität können auf den Regulator im Finanzsektor angewandt werden. Die drei Kriterien sind im Falle des Regulators die Regulierung (Handlung), der Zusammenbruch des Finanzsektors aufgrund von Überregulierung (Risiko) und der Markt resp. die Volkswirtschaft (Naturaspekt).

Interessanterweise ist die Situation beim Regulator ähnlich gelagert wie beim Trader, wenn es um das Risiko geht. Auch der Regulator ist nicht unmittelbar existentiell von diesem Risiko bedroht und auch im Falle des Regulators trägt er nicht er die Konsequenzen, sondern der Steuerzahler. Ebenfalls wie beim Beispiel des Traders ist der Naturaspekt eben kein solcher, sondern eine menschengemachte Grösse in der sich auch der Regulator bewegt.

Gerade diese beiden Aspekte erlauben nun eine Anwendung der vier Phasen zur Hyperrealität nach Baudrillard auch für den Regulator resp. die Regulierung:

1. Eine grundlegende Realität wird abgebildet (Regulierung soll Funktionsfähigkeit von Banken sichern)
2. Die grundlegende Realität wird maskiert und pervertiert (Regularien verhindern, dass Banken ihre volkswirtschaftlichen Funktionen richtig ausüben können. Näheres dazu hier)
3. Das Fehlen einer grundlegenden Realität wird maskiert (Abstrakte Modelle zur Berechnung werden eingeführt z.B. SA-CCR)
4. Völlige Loslösung von jeglicher Realität (Regularien referenzieren auf sich selbst. Für Basel 4 soll die CET1-Ratio als Basis für die Risikoberechnung von Bonds dienen. Diese ist jedoch ein Resultat der Basel 3-Regulierung)

Hinzu kommt die einfache Überlegung, dass regulatorisch vorgeschriebene Kapitalpuffer ihre Wirkung verlieren, da sie ja immer gelten und somit nicht anti- sondern prozyklisch wirken.

Fazit:
Zunächst gälte es Regeln zu schaffen, die verhindern, dass Regulierung in die Hyperrealität abgleitet. Als nächstes wäre eine Art der Regulierung zu finden, welche nicht den gleichen Gesetzen und Kriterien unterliegt wie das zu regulierende Subjekt, ohne dabei dessen Realität aus dem Blick zu verlieren.

Prinzipiell wäre also eine Regulierung wünschenswert, welche die Vorhersagbarkeit von bspw. seltenen Ereignissen nicht mit Daten der Vergangenheit versucht, sondern sich der prinzipiellen Unvorhersagbarkeit von solchen Ereignissen bewusst ist und eher auf die Einhaltung von Prinzipien als von Kennzahlen baut (Näheres dazu hier)

Buchtipp: Pelzer, P. (2012). Risk, Risk Management and Regulation in the Banking Industry: The Risk to Come. Routledge.


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