Vom SchKG zum besonderen Insolvenzrecht für Banken (1/3)
Dr. iur. RA Thomas Gattlen
Für die dem Bankengesetz unterstellten Unternehmungen sieht das aktuell geltende Bankengesetz eine umfassende Aufsicht der FINMA (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht) vor (Art. 23-24 BankG.). Bereits bei begründeter Besorgnis der Überschuldung, ernsthafter Liquiditätsprobleme oder der Unfähigkeit der Bank, die Eigenmittelvorschriften zu erfüllen, hat die FINMA die ihr nötig erscheinenden Massnahmen anzuordnen (Art. 25 ff. BankG) und überschreitet damit die fliessende Grenze zwischen Aufsichts- und Sanierungsrecht. Ist eine Sanierung nötig und möglich, hat die FINMA ein Sanierungsverfahren einzuleiten (Art. 28 BankG). Besteht keine Aussicht auf Sanierung, hat die FINMA das Konkursliquidationsverfahren anzuordnen, einen Konkursliquidator- oder eine Konkursliquidatorin zu ernennen, die unter Aufsicht der FINMA die Liquidation nach den Regeln des SchKG durchzuführen haben (Art. 33 BankG). Die FINMA darf allerdings von den Regeln des SchKG im Einzelfall oder generell auf dem Verordnungswege abweichen (Art. 34 BankG). Damit übernimmt sie nicht nur die Funktionen, die das SchKG anderen Behörden überträgt, sondern bestimmt auch weitgehend das Verfahren der Liquidation insolventer Banken, ohne dabei an die Regeln des SchKG gebunden zu sein.
Dem SchKG bleibt die Anwendung in der Bankensanierung oder im Konkursverfahren der Banken weitgehend versagt; es besteht ein besonderes Sanierungs- und Insolvenzrecht für Banken. In dieser Beitragsserie wird der Frage nachgegangen, wie sich dieses besondere Insolvenzrecht entwickelte. Die Weiterentwicklung dieser Regeln nach 2004 ist allerdings nicht Thema dieser Serie.
Besonderer Hintergrund des Sanierungs- und Insolvenzrechts für Banken
Mit der «Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen» vom 2. Februar 1934 (BBl 1934 I 171) schlug der Bundesrat den eidgenössischen Räten vor, die Banken unter staatliche Aufsicht zu stellen. Die Notwendigkeit der vorgesehenen Kontrolle begründete der Bundesrat folgendermassen: «Das hervorstechende Merkmal der modernen Wirtschaft liegt vielleicht weniger in der Konzentration des Reichtums als in der Häufung einer grossen wirtschaftlichen Macht in den Händen einer kleinen Zahl von Personen, die nicht Eigentümer, sondern lediglich Verwahrer der Kapitalien sind, die sie anzulegen und zu verwalten haben. Der unbeschränkte Einfluss derer, die den Geldmarkt beherrschen und den Kredit verteilen, ist unbestreitbar einer der grossen Machtfaktoren der Gegenwart. Bei diesen Verhältnissen ist die Banktätigkeit eine Art öffentlicher Dienst geworden. Es ist daher durchaus natürlich, dass eine Reihe von Ländern bereits Massnahmen zur Überwachung der Finanzinstitute ergriffen haben. (…) Leider hat die Erfahrung gezeigt, dass trotz dieser Vorsichtsmassnahmen zahlreiche, der Kontrolle unterstellte Banken dem Zusammenbruch und dem Konkurse nicht zu entrinnen vermochten. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten erfordern, das den Banken anvertraute Sparvermögen im Interesse der Gesamtheit wirksam gegen jede Verschleuderung zu schützen. Ferner lehren die kürzlichen Ereignisse, dass eine Bank, sobald sie in Schwierigkeiten geraten ist, den Staat um Hilfe angeht und dass gleichzeitig auch Schuldner und Gläubiger an den Staat appellieren. Es ist daher durchaus natürlich, dass sich der Staat bemüht, durch geeignete Mittel Zusammenbrüche von Banken zu verhindern» (BBl 1934 I 171, Seite 171/172).
Botschaft des Bundesrates lieferte konkrete Zahlen
Die Botschaft lieferte zur Bedeutung der Banken konkrete Zahlen: Damals bestanden ca. 300 Finanzinstitute mit 200 Filialen, 400 Agenturen und Depositenkassen sowie 1500 Einnehmereien. Daneben gab es 571 Raiffeisenkassen (BBl 1934 I 171, Seite 172/173). 1932 hatte die gesamte Bilanzsumme aller Bankinstitute 20 Milliarden Franken erreicht, der Bruttogewinn der Banken war auf 340 Millionen Franken angewachsen, und die Banken lieferten 1929 an Bund, Kantone und Gemeinden gegen 50 Millionen Franken an Steuern ab (BBl 1934 I 171, Seite 173).
Bei den in der Botschaft genannten «kürzlichen Ereignissen» handelte es sich um die Sanierung einer Bank in Genf und einer Bank in Bern, an die die Eidgenossenschaft im Jahr vorher erhebliche finanzielle Beiträge leisten musste, um die Auswirkungen einer unkontrollierten Insolvenz dieser beiden Institute zu vermeiden. (vgl. «Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die finanzielle Beteiligung des Bundes an der Reorganisation der Schweizerischen Diskontbank.» vom 8. April 1933/BBl 1933 I 609 sowie «Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die finanzielle Beteiligung des Bundes an der Reorganisation der Schweizerischen Volksbank.» vom 29. November 1933 /BBl 1933 II 801
Im zweiten Teil der Blogserie wird die Sanierung insolventer Banken vor 1934, nach dem Bankengesetz von 1934 sowie Weiterentwicklung von Aufsichts- und Sanierungsrecht 1970/1971 ausgeführt.
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Downloads
- Botschaft Sanierung Diskontbank 1933 | pdf, 1262 KB
- Botschaft Sanierung Volksbank 1933 | pdf, 1122 KB
- Bankengesetz Fassung 1934 | pdf, 1056 KB
- Botschaft Bankengesetz 1934 | pdf, 3008 KB
- Bankengesetz Revision 1970 Botschaft | pdf, 3619 KB
- Revision Bankengesetz 2002 Botschaft | pdf, 326 KB
- Botschaft Finanzmarktaufsicht | pdf, 748 KB
Vom SchKG zum besonderen Insolvenzrecht für Banken (2/3)
Sanierung insolventer Banken vor 1934, Weiterentwicklung Aufsichts- und Sanierungsrecht
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