Im neuen Nationalen Gesundheitsbericht 2020 geht es um die Gesundheit in der Schweiz – insbesondere von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das dritte Kapitel «Young Carers» wurde von Prof. Dr. Agnes Leu und ihrem Team verfasst. Betreuende und unterstützende junge Menschen sind seit mehreren Jahren ein zentrales Forschungsthema an der Careum Hochschule Gesundheit.

Gesundheitliche Weichen werden in der ersten Lebensphase gestellt

Der Nationale Gesundheitsbericht 2020 des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) gibt Auskunft über die Gesundheit der jungen Generation. Der Bericht zeichnet insgesamt ein erfreuliches Bild: Zwar leben zwei von zehn Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entweder mit einem chronischen Gesundheitsrisiko oder mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung. Trotzdem fühlen sich rund neun von zehn Kindern und Jugendlichen in der Schweiz gesundheitlich gut oder sehr gut. Handlungsbedarf besteht laut Bericht hauptsächlich beim Füllen von Datenlücken, um für zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein.

Der Nationale Gesundheitsbericht 2020 legt den aktuellen Kenntnisstand zur Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz dar. Er beschreibt die Einflüsse von Umfeld und Umwelt, Gesundheitsverhalten und im Speziellen der Nutzung von digitalen Medien. Zudem legt er ein Augenmerk auf das Gesundheitssystem.

Obsan, Nationaler Gesundheitsbericht 2020, offizielles Video

Gesundheitliche Chancengleichheit – schon vor der Geburt essenziell

Die erste Lebensphase ist im Hinblick auf den weiteren Lebensverlauf entscheidend. Ungünstige Bedingungen in der Kindheit oder schon vor der Geburt wirken sich auf spätere Erkrankungen aus. So führt Übergewicht im Kindesalter oft zu Übergewicht im Erwachsenenleben. Gesundheitsrisiken in der Familie sind ein tieferer Bildungstand, Armut, Arbeitslosigkeit oder unsichere Arbeitsbedingungen und insbesondere auch Migrationserfahrungen. Gesundheitschancen werden auch von einer Generation zur nächsten weitergegeben.

Es ist wichtig, dass die Schweiz auch weiterhin für eine umfassende Chancengleichheit eintritt, wie auch im Ausdruck «Leave no one behind» der UNO gefordert wird. Die Schweiz hat bereits viele Voraussetzungen geschaffen, um allen Kindern hohe Gesundheits- und Lebenschancen zu ermöglichen und den Zugang zum Gesundheitssystem zu gewährleisten.

Digitale Medien sind bei kleinen Kindern noch zu wenig erforscht

Digitale Medien können das Wohlbefinden von Jugendlichen beeinflussen. Doch über weitere gesundheitliche Effekte ist vieles noch unbekannt. Wissenslücken bestehen vor allem über die Auswirkungen von digitalen Medien auf Kleinkinder. Daher wurde parallel zum Nationalen Gesundheitsbericht eine Studie «Adele+» zum Medienumgang von Kindern im Vorschulalter mit Chancen und Risiken für die Gesundheit durchgeführt. Bereits bei dieser Altersklasse zeigen sich unter anderem Zusammenhänge zwischen Bildschirmzeit und Körpergewicht sowie Schlafproblemen.
Beim Gesundheitsverhalten hat sich der Anteil der 15-Jährigen reduziert, die sich mindestens an eine Episode von Rauschtrinken in einem Monat erinnern: 2010 war es ein Drittel, 2018 nur noch ein Viertel. Seit 2002 ist zudem der Anteil der 11- bis 15-Jährigen, die mindestens einmal pro Woche herkömmliche Zigaretten rauchen, tendenziell rückläufig.

Young Carers: Wenn Kinder früh viel schultern müssen

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die Angehörige betreuen, werden im internationalen Kontext «Young Carers» genannt. Sie übernehmen sehr früh eine Betreuungsrolle und kümmern sich oftmals mit wenig oder ohne Unterstützung um erkrankte, verunfallte, beeinträchtigte oder gebrechliche Nächste – und müssen gleichzeitig Schule oder Ausbildung meistern. Vor diesem Hintergrund erfordert ihre Situation besondere Aufmerksamkeit. Ihnen wird im dritten Kapitel des Berichts ein besonderes Augenmerk gewidmet. Die Autorinnen – Prof. Dr. Agnes Leu, Hannah Wepf und Marianne Frech  – befassen sich seit mehreren Jahren in diversen nationalen und internationalen Projekten mit diesem gesellschaftlich wichtigen Thema. Sie zeigen im Bericht die Situation von Young Carers auf und bilden ihre Situation mit aktuellen Zahlen konkreter ab. Der Beitrag zeigt insbesondere den nationalen Forschungsstand auf und zieht zentrale Ergebnisse oder Entwicklungen aus anderen europäischen Ländern als Vergleichsgrössen bei.

Diskussionen bei der Präsentation des Gesundheitsberichts 2020
Diskussionsrunde an der Berichts-Präsentation in Bern am 27. August: Ilona Kickbusch, Susanne Stronski, Mathis Brauchbar, Marianne Caflisch, Barbara Schmid-Federer

Kooperation und Vernetzung: über das medizinische System hinaus

Das Kapitel zur Gesundheitsversorgung stellt unter anderem fest, dass Herausforderungen bestehen, was die Sicherstellung der praxispädiatrischen und der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung sowie der Übergänge in die Erwachsenenmedizin betrifft. In der Schweiz erhalten auch nur etwa 10% der Kinder mit einem potenziellen Bedarf eine spezialisierte Palliative-Care-Betreuung. Und 7,9% der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 15 Jahren haben im Jahr 2017 Betreuungs- und/oder Pflegeaufgaben übernommen.
Die Versorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen findet nicht nur im Gesundheitswesen statt, sondern erfordert die Kooperation und Vernetzung über das medizinische Versorgungssystem hinaus – mit Akteuren des Bildungs-, Erziehungs- und Sozialwesens sowie den Familien. Zudem kann eine gute Koordination die Übergangsphasen von Kindheit zu Jugend bis  zum Erwachsenenleben erleichtern.

Gesundheitsdaten als wichtiges Instrument

In verschiedenen Gesundheitsbereichen reicht die Datenlage nicht aus, um wissensbasierte Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel geht man international von einer deutlichen Zunahme von Kurzsichtigkeit aus. Mangels repräsentativer Daten auf nationaler Ebene kann dieser Trend für die Schweiz aber nicht beurteilt werden. Der Bericht empfiehlt, diese Wissenslücken anzugehen. Entwicklungen der Gesundheit können nur beurteilt werden, wenn Informationen über eine gewisse Zeit gesammelt werden – am ehesten, indem Lebensläufe verfolgt werden. Durch solche Untersuchungen könnte auch der Wert präventiver Leistungen im Kindes- und Jugendalter für das Erwachsenenleben evaluiert werden.
Heute müssen die politischen Verantwortungsträger oftmals mit wenigen Informationen aus der Vergangenheit schnell Entscheidungen für die Zukunft treffen. Damit kurzfristige Entscheidungen zur Kinder- und Jugendgesundheit möglichst frühzeitig wissenschaftlich unterstützt werden können, empfiehlt der Nationale Gesundheitsbericht eine bewusste Ausrichtung auf Themen der Zukunft; dies mithilfe eines Gremiums von «Kinder-Zukunftsforschenden». Dieser Blick der Forschenden in die Zukunft muss sektorübergreifend geschehen.

Datenlücken sollen gefüllt werden

Die wichtigsten Handlungsempfehlungen, die ein Expertengremium aus den Ergebnissen des Berichts abgeleitet hat, sind: das Füllen von relevanten Datenlücken und Generieren von mehr Wissen, damit zu spezifischen Fragestellungen (zum Beispiel bei neu entdeckten Risiken durch digitale Medien) die Lage schnell beurteilt werden kann und rationale Entscheide ermöglicht werden. Nur das genaue, zeitnahe Beobachten und Analysieren von Veränderungen erlaubt es, neue Herausforderungen für die Gesundheit der jüngsten Generation zu erkennen und entsprechende Massnahmen einzuleiten. Zugunsten der Gesundheit der jungen Bevölkerung sind schliesslich das fortwährende Engagement und die Zusammenarbeit aller Politikbereiche notwendig.

Der Bericht

Der Nationale Gesundheitsbericht 2020 «Gesundheit in der Schweiz – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene» wird vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) im Auftrag des Dialogs der Nationalen Gesundheitspolitik, der ständigen Plattform von Bund und Kantonen, herausgegeben.

Zitierweise: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Hrsg.) (2020). Gesundheit in der Schweiz – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Nationaler Gesundheitsbericht 2020. Bern: Hogrefe Verlag.

Der Bericht wird unter www.gesundheitsbericht.ch kostenlos als Web-Publikation und als PDF angeboten. Die elektronischen Versionen liegen deutsch und französisch vor, sie werden durch eine italienische Kurzversion ergänzt. Das Buch kann im Buchhandel (www.hogrefe.ch) oder bei www.obsan.ch bestellt werden (d oder f).
 
Kapitel
01 Demografie
02 Lebenswelten, Umweltfaktoren und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
03 Young Carers
04 Körperliche Gesundheit und Entwicklung
05 Psychische Gesundheit
06 Chronische Krankheiten und Behinderungen
07 Gesundheitsverhalten
08 Digitale Medien: Chancen und Risiken für die Gesundheit
09 Gesundheitsförderung und Prävention
10 Gesundheitsversorgung
11 Palliative Care
12 Diskussion und Ausblick
 
Autorinnen und Autoren
Fabienne T. Amstad, Nicole Bachmann, Thomas Ballmer, Eva Bergsträsser, Marina Delgrande Jordan, Sabine Dobler, Julia Dratva, Lucile Ducarroz, Marianne Frech, Brigitte Gantschnig, Susanne Grylka-Bäschlin, Jolanda Jäggi, Sibylle Juvalta, Kilian Künzi, Agnes Leu, Lena Liechti, Thierry Mathieu, Ursula Meidert, Stefan Meyer, Sirkka Mullis, Luca Notari, Valentine Schmidhauser, Daniela Schuler, Alexandre Tuch, Thomas Volken, Gregor Waller, Hannah Wepf, Karin Zimmermann, Andrea Zumbrunn, Annina Zysset

Quelle: Dieser Artikel basiert zu weiten Teilen auf der Medienmitteilung des Schweizerischen Gesundheitsobservatorium vom 27.08.2020.


Weitere Informationen

Zur Young Carers-Forschung der Careum Hochschule Gesundheit

Neueste Literatur zum Thema Young Carers

Leu, A., Wepf, H., Sempik, J., Nagl‐Cupal, M., Becker, S., Jung, C., & Frech, M. (2020). Caring in mind? Professionals’ awareness of young carers and young adult carers in Switzerland. Health & Social Care in the Community. doi:10.1111/hsc.13061 (Abstract)

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